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Extras

Künstler

2018.07.01

Stefanie Heinzmann

Wir erinnern alle unser erstes Mal. Kein Zweifel. Die Aufregung. Die Magie vieler Momente des Glücks, die man festhalten möchte und doch niemals festhalten kann. Die wohlige Wärme, die den Körper flutet. Der Kitzel der Nerven. Die unbezwingbare Neugier. Die naive Lust am Unbekannten. Na? Wie war Dein erstes Mal? Nein, nicht der erste Kuss. Nein, auch nicht die erste Freundin. Nein, auch nicht der erste Sex.

Die launige Einleitung mit Hang zur Dreifachdeutigkeit fokussiert den faszinierenden Premierenaugenblick, wenn jenes musikliebhabende Menschlein das erste Mal zeitlebens eine Soulstimme hört, eine im positivsten aller Sinne erschütternde Soulstimme. Eben jener Augenblick, der den Ohren bewusstseinserweiterndes Opiat ist, während man im Rheinischen davon spricht, dass einem das Herz aufgeht. Ganz ohne la petite mort.

Der Autor erinnert gleich zwei dieser famosen Wendepunkte, beide geschaffen von weiblichen Soulstimmen, wobei es ein schlimmer Irrtum ignoranter Formatradioliebhaber ist, es gäbe mehr herausragende Frauen- als Männerstimmen in diesem Genre. Wie dem auch sei, Dusty Springfields Hommage an Predigersöhne generierte das erste Mal Ohrenschmaus und durchdringendes Glück. So eine Art zweites erstes Mal ist der großartigen Mavis Staples zu verdanken. Keine Ahnung mehr, wann oder wo oder mit wem; ist auch wirklich ohne jede Relevanz, der von Mavis Staples geradezu herbeigesungene "glückliche Tag" gebar in mittelbarer Folge viele weitere glückliche Tage, jetzt waren sie ja an der Angel, die Staples und die Springfields und und und.

Wer einmal, oder möglicherweise auch ein zweites Mal aus dem unermesslich süßen und gewaltig großen Honigtopf des Soul schlecken durfte, wird immer wieder kommen; Minimumziel: Naschen, Optimum: hemmungslose Schlemmerei.

Es ist (noch) nicht überliefert, wie das unmittelbare menschliche Umfeld der Schweizerin Stefanie Heinzmann reagierte, als die mutmaßlich junge Dame erstmals anhob, ein Lied zu intonieren. Es ist auch nicht überliefert, welche traditionsreiche Weise bei dieser Premiere zum Vortrag kam. Es ist trotz schwieriger Quellenlage jedoch schwerstens davon auszugehen, dass allen Ohrenzeugen schlagartig die Besonderheit dieser Stimme klar gewesen sein muss. Es gibt Dinge, die bedürfen keiner Interpretation oder professioneller Bewertung oder analytischer Diskussion, weil schlicht und ergreifend alles unstrittig ist, klarer als jedes Gletscherwasser in den Schweizer Alpen (sic!). Es wird einer dieser Momente gewesen sein, denen man Einzigartigkeit zuschreibt, die uns gleich eine ganze Beweiskette liefern, warum wir das Leben so lieben, seine Musik, vor allem seine Musik. Eben auch so ein erstes Mal. Ein erstes Mal wie ein erstes Mal in diesem Kontext sein muss. Zurück in die Zukunft. Es ist Hessen. Es ist nicht die Schweiz. Nein, nicht die Schweiz. Es ist Friedberg, eine meistens verschlafene Kleinstadt vor den Toren Frankfurts, die angesichts fehlender Alleinstellungsmerkmale wahrscheinlich häufiger damit zu kämpfen hat, verwechselt zu werden mit jener gleichnamigen Lokalität unweit des schwäbischen Augsburg. Wie auch immer, Frechheit siegt und ein bisschen Kleinstadtbashing hat noch nie geschadet.

Es ist ein rundes Zirkuszelt wie wir es alle kennen, dieser sehr spezielle Geruch inklusive. Natürlich wäre es vermessen davon auszugehen, einen Menschen innerhalb eines halben Tages auch nur annähernd umfänglich kennenlernen zu können. Ein paar Schlaglichter erhaschen, okay. Hier eine Facette, da eine Erkenntnis, mehr ist nicht, mehr sollte auch nicht sein. Schließlich stehen erfolgreiche und bisweilen auch weniger potente Musikanten derart exponiert in der Öffentlichkeit, dass das verzweifelte Ringen um einen respektablen Rest an Privatsphäre allzu verständlich ist und unbedingt sein muss. Ein halber Tag Stefanie Heinzmann, eine halbe Stunde davon direktes, persönliches Gespräch. Das klingt nach viel weniger, als am faktischen Ende tatsächlich zu resümieren bleibt.

Nimmt man eingangs erwähnte Mavis Staples als Referenzfigur für eine Soulstimme von Weltformat, dürfte Stefanie Heinzmann ob der gewaltigen körperlichen Unterschiede konsequenterweise nicht über diese sehr besondere Gabe verfügen. Eine Stimme, die man regelrecht fühlen, atmen, leben kann. Eine, die man zu hören vermutet in jenen scheinbar immer gleich weiß getünchten Holzkirchen, irgendwo im amerikanischen Süden, auf dem Weg zu den engen Bänken knarzen die alten Holzdielen und nach wenigen Momenten singen alle mit Inbrunst ein „Halleluja“, wie wir es nicht kennen, wie wir es nicht können. Genug geträumt, auch wenn es schön ist. Stefanie Heinzmann kann die offensichtliche körperliche Präsenz der souligen Altdamenriege nicht ihr eigen nennen, sie ist vielmehr der lebende Beweis, dass es derlei Spezifikationen nicht zwingend braucht.

Sie wirkt selbst in der gewohnten Umgebung ihrer festen Band zurückgenommen und in keinster Form extrovertiert, eher fast schon schüchtern, abwartend, defensiv. Wüsste ich nicht, dass diese junge Dame in der liebenswürdigen Schweiz geboren wurde, diese Heimat wäre ohne jeden Zweifel unter den Top 3 der Vermutung, Vorurteile hin, Stereotype her. Man(n) kann halt nicht wirklich gut aus seiner Haut, Frau auch nicht. Schön, weil diese vermeintlichen Widersprüche bei der Beschäftigung mit Stefanie Heinzmann sich rasend schnell alle zusammenfügen zu einem stimmigen Ganzen und subjektive Eindrücke ohnehin erst einer Verifizierung am Betroffenen oder wahlweise der Realität standhalten müssen.;
Das groovt wie Sau!

Soundcheckzeit. Manchmal langweilig, in aller Regel aufschlussreich. Man muss nicht unzählige Konzerte auf der Erfahrungshabenseite erinnern, um Stefanie Heinzmanns Kapelle zu verorten. Es reichen zwei Minuten auch unter noch nicht optimal gemischten Verhältnissen, gutes „Front of House“ will Weile haben, kein Problem. Hier vollbringen professionelle Musikermenschen nicht einfach nur ihr Tagwerk. Es ist wie mit Fußballern, die nach drei Tagen Zirkeltraining und Ballentzug endlich wieder ran dürfen ans Leder, also, das Runde. Es geht um Leidenschaft beim Tun, im besten Fall kombiniert mit außergewöhnlichem Talent und Teamspirit. All diese hübschen Eigenschaften darf die Stefanie Heinzmann Band, so wir sie denn mal so nennen möchten, für sich beanspruchen. Was der überhaupt nicht schnöde Soundcheck bereits verspricht, wird der spätere Gig halten, das ist innerhalb besagter zwei Minuten nachgewiesen: Druckvoller Drumsound mit schicker Eins, ein perfekt assistierender Bass und eine angenehm unaufdringliche Gitarre bringen Farbe und Lust und Tanzen in einen sonst eher trüben Samstagnachmittag im Hessischen. Ergänzt durch vielseitige Tastenarbeit und zwei klasse Backings kommt man unweigerlich bereits früh zur Erkenntnis: Es ist angerichtet. Wäre alles anders und dieses Blatt gehörte zum Axel Springer-Imperium, würde ein immens belesener Journalistenmensch wohl konstatieren: „Das groovt wie… wie… wie…“ Ja, wie denn nun? „Ach, das groovt wie Sau“.

Und wenn sie anfängt zu singen, dann wird plötzlich klar, warum Stefan Raab einst vor Stolz platzte, als sich aus dem unscheinbaren Schweizer Mädel mit schwarzen Fingernägeln und revolutionärem Modeverständnis die verdiente Gewinnerin (s)einer Castingshow entwickelte. Mehr noch: Wenn Stefanie Heinzmann an diesem immer noch trüben Samstagnachmittag in Friedberg, dem hessischen Friedberg wohlgemerkt, intoniert, will man jenem verblüfften Kritikervolk zustimmen, das nach dem Duett der einstigen Saxophonistenundvokalrampensau der Commodores, dem großen Lionel Ritchie mit ihr konstatierte, dass da aber jemand an die Wand gesungen worden sei. Und gemeint war nicht die damals noch Nachwuchskraft aus dem Wallis.

Wenn sie singt, wundert sich keiner über bereits erfolgreich abgehakte Kollaborationen, die manch längst etablierter Künstlerkollege gerne in seiner Referenzliste stehen hätte, aber wohl nie generieren wird. Mit den legendären Tower of Power musizierte sie gleich mehrfach, live und im Studio, versteht sich. Joss Stone verneigte sich vor ihrem überbordenden Talent, Lionel Ritchie hatten wir bereits, der träumt heute noch von ihr und auch die Liste ihrer Songwriter ist ebenso lang wie faszinierend: Da finden sich ein gewisser Jamie Cullum, diese Julie Frost kennen seit „Satellite“ längst nicht nur Insider und mit Eric Bazilian außerdem noch eine Bank, wenn es um zugeschnittenes, subtiles, erfolgreiches Liedgut geht.

Unbesiegbare Lockerheit und Authentizität
Wenn Stefanie Heinzmann also anfängt zu singen, wird aus dieser bemerkenswert guten Band eine herausragende. Sie ist mit ihrem Gott gegebenen Talent der Grund dafür, warum Menschen Musik lieben, weite Wege und andere Belastungen in Kauf nehmen, treu sind und bleiben. Sie ist ein Unterschiedmacher.

Kamera eingerichtet, Position gefunden, Fragen gecheckt, Frau Heinzmann ist pünktlich. 30 Minuten werden sich mutmaßlich nicht nur kurz anfühlen, sie werden kurz sein. Nachspielzeit oder gar Verlängerung ausgeschlossen, eine hungrige Meute wird unmissverständlich nach Einlass verlangen und das Interviewszenario wäre an Ort und Stelle nicht mehr verantwortbar.

Es bleibt ein zu kurzes Gespräch, dessen Intensität aber so nicht zu erwarten war. Die Authentizität ihres Wesens, ihres Auftritts dies- und jenseits von Bühnen, verbietet jede Form von Oberflächlichkeit oder Ausweichen oder Unlust. Stefanie Heinzmann lässt sich gerne auf einen durchaus umfangreichen Fragenkatalog ein, wohlwissend, dass dieser nicht in Gänze abzuarbeiten ist. Sie ist witzig, sehr assoziativ und pointiert, spontan sowieso. Klar ist sie ein Profi, wenn es um externe Kommunikation geht, hat sie längst positive wie negative Seiten dieser unserer bunten Medienwelt kennenlernen dürfen. Dennoch bleiben ihre Lockerheit und besagte Authentizität unbesiegbar.

Vor ziemlich genau zehn Jahren bekam das Leben von Stefanie Heinzmann einen immensen Drive: Mit dem Gewinn der Raab-Castingshow avancierst Du innerhalb kürzester Zeit zu einem konstanten Superstar mindestens im deutschsprachigen Raum, veröffentlichst sehr erfolgreich vier Longplayer, stehst mit Legenden auf der Bühne (Joss Stone, Lionel Ritchie), spielst hunderte Shows, bekommst Auszeichnungen, im Grunde eine Bilderbuchkarriere; hättest Du die damals, im TV Total-Studio für möglich gehalten und was war Dein persönliches Highlight der vergangenen zehn Jahre?
Höhen, Tiefen, Dankbarkeit

Ich habe mich überhaupt nicht getraut, so weit und so optimistisch zu denken. Grundsätzlich bin schon ein optimistischer Mensch, aber eben auch Realist, vielleicht kann man sagen ein optimistischer Realist. Gerade an dem Abend, als ich dieses Ding gewonnen habe, war ich so überfordert, es hat mich ziemlich aus den Socken gehauen.

Ich war so sicher, dass Gregor (Meyle, damals Zweitplatzierter, die Redaktion) gewinnen würde, weil er es auch so verdient hatte. Für mich war klar, ich mach mal mit und wenn das fertig ist, gehst du halt zurück nach Hause in die Schweiz und machst mit deinen achtzehn Jahren mal die Schule weiter. Ich habe mich halt auch selbst gefragt, wie viele Castinggewinner ich kenne, deren Erfolg von einer gewissen Dauer war. Meine Neugier, auf das was mich erwartete, war schon groß, aber ich wollte auch nicht so einfach die Schule aufgeben zu dem Zeitpunkt, weil ich mich das einfach nicht getraut habe, ich wollte nicht so blind sein.

Den einen Höhepunkt kann ich sicherlich nicht benennen, weil zehn Jahre einfach eine sehr lange Zeit sind und die waren in meinem Fall angefüllt mit Höhen und Tiefen. Es ist schon ein absurdes Leben, in das man rein gerät, es hat nicht mehr viel mit der Realität zu tun. Stell dir vor, es gibt so viele Menschen, die sich diese Möglichkeit wünschen und du darfst dieses Leben dann einfach führen, einen Traum leben sozusagen, das ist schon etwas besonderes, aber auch absurd.

Wenn ich einen Höhepunkt benennen muss, dann fällt mir gerade dieses große Vorrecht ein, über einen so langen Zeitraum mit diesen großartigen Musikern, dieser wahnsinnig guten Band spielen zu dürfen. Fast alle aus dieser Band sind nun schon seit zehn Jahren dabei und dieses Miteinander macht mich sehr dankbar.

Ein anderes Beispiel für einen herausragenden Moment war die Chance vor einiger Zeit, zwei Konzerte mit einem kompletten Orchester im Kultur- und Kongresszentrum Luzern spielen zu dürfen und das ist sicherlich eines der schönsten, der am besten klingenden Konzerthäuser in der gesamten Schweiz. Da hast Du dann ein 60-Personen-starkes Orchester in deinem Rücken und noch die Band, das waren sehr besondere Momente. Das fing schon mit der einwöchigen Vorbereitung an, du bereitest einen kompletten Abend vor, nicht einfach nur ein Konzert. Sonst spiele ich tatsächlich einfach Konzerte, das waren zwei Abende mit Pausen, richtigen Pausen; was macht man in einer solchen Pause (lacht)? Das war definitiv anders als alles, was ich bisher gemacht habe.


Wie beschreibst Du Deine künstlerische Entwicklung seit diesem Zeitpunkt?

Ich bin davon überzeugt, dass eine künstlerische Entwicklung Hand in Hand geht mit einer persönlichen Entwicklung und die ist zwischen 18 und 28 schon auch gewaltig. Bei mir war das direkt nach dem Casting bei Stefan Raab geprägt von gewissen Problemen mit mir selbst. Ich war 18, bin brav in die Schule gegangen und innerhalb von drei Wochen hatte ich dann plötzlich ein Album in der Tasche und dann heißt es: „Damit gehst du jetzt mal auf Tour!“

In dieser Anfangszeit stand ich mir selbst schon auch ein bisschen im Weg. Wir haben dann angefangen, ein bisschen Motown-Kram zu machen, weil ich wusste, dass ich Soul mag und auch Funk, trotzdem sollten wir uns aber in dieser Popschiene bewegen.

Naja, ich hatte dann zu dieser Zeit einen Bandscheibenvorfall und erhebliche Probleme mit meiner Stimme, weil mich die ganze Situation schon sehr herausgefordert hat. Auf der Bühne habe ich mich immer sehr wohl gefühlt, das war mein Rettungsanker. Wenn ich auf der Bühne stand, wusste ich, warum ich mir das alles antue. Ich war von einem Moment auf den anderen nur noch unterwegs und an dieses andere Leben musste ich mich erst einmal gewöhnen.

Auf diese persönliche Entwicklung folgte dann auch künstlerisch ein Schritt: Ich habe meine Rückenprobleme in den Griff bekommen, ich hatte dann auch meine Stimme sehr gut unter Kontrolle, weil ich mich selbst nicht mehr so sehr gestresst habe. Nach einer gewissen Zeit hat man das dann auch der Musik angehört: Ich habe lange Zeit versucht, Motown zu machen, irgendwann hatte ich dann meinen Sound gefunden, der nach Motown klang und nach mir. Plötzlich wurde mir klar, wohin ich will, alles wurde freier und das war ein ziemlich schöner Moment.


Stefan Raab gilt als Legende auch im Musikbiz und als Mann mit dem goldenen Händchen; ihr teilt wohl die Liebe zum Soul, auffällig ist aber, dass all seine Entdeckungen keine Halbwertszeiten zu haben scheinen: Max Mutzke ist ein sehr etablierter Musiker, Lena erlebt Höhen und Tiefen, ist aber ebenso etabliert, Du gehörst seit Jahren fest zur Beletage; auch ein Verdienst von Stefan Raab? Inwieweit hat er Dich auch künstlerisch geprägt oder war er nur der vielzitierte „Door Opener“?

Stefan Raabs größtes Geheimnis ist sein Erfolg. Er hat sich über die vergangenen 25 Jahre einen gewaltigen Ruf aufgebaut, der dazu führt, dass die Menschen ihn ernstnehmen, egal, ob es um Bobfahren oder Musik geht. Überleg mal, welche krassen Künstler in seiner Sendung waren, mit denen er dann auch Musik gemacht hat. Damit hat er sich einen riesigen Respekt erarbeitet; ich kenne keinen, der Stefan Raabs Leistung und seine große Erfahrung nicht anerkennt.

Vor allem hat er seine Castings definitiv nicht um der Show willen gemacht, sondern weil er Menschen finden wollte, begabte, authentische Musiker, um deren willen alles stattfindet: Es gab niemals Stylingideen oder Bühnenchoreovorschläge, das war Raab wirklich komplett egal. Ich bin davon überzeugt, dass schlussendlich die Nachhaltigkeit seines Erfolgs durch die Konzentration auf das Wesentliche kommt. Man muss keine Energie auf irgendeinen Quatsch verschwenden, der sowieso vergänglich und total unwichtig ist, sondern darf sich als Künstler darauf konzentrieren, was man kann. Außerdem darfst du es auf die Art machen, die du möchtest, was auch mein Glück war: Ich war 18, hatte komische Chucks an den Füßen, seltsame Piercings und schwarze Nägel, das hat überhaupt nicht zu meiner künstlerischen Identität gepasst. Das hat ihn überhaupt nicht gestört, ich durfte sein, wer ich sein wollte, für ihn war nur Stefanie die Künstlerin wichtig.


Und er ist selbst ein herausragender Musiker.

Absolut. Außenstehende können sich nicht vorstellen, wie gut er tatsächlich ist und wie sehr Stefan Raab die Musik liebt. Musik ist für ihn alles.
Heimat - „Eine Sache des Herzes“

Wir haben jetzt zehn Jahre zurückgeschaut und viele interessante Facetten in Deinem Leben kennengelernt; wenn wir uns in die andere Richtung drehen und mal zehn Jahre weiterdenken: Wo möchtest Du als Künstlerin und Mensch dann stehen?

(lacht). Das ist eine gute Frage, aber ich habe vor zehn Jahren bewusst nicht so lange nach vorne gedacht und möchte es heute eigentlich auch nicht tun. Damals hätte ich mit heute ziemlich danebengelegen und heute würde ich mit meiner Zukunftsprognose wohl eher auch nicht richtig liegen.

Eigentlich will ich mir auch gar keine Gedanken darüber machen, weil alles passieren kann. Ich kann Mutti sein und die Schnauze voll haben von dem ganzen Zirkus, wo wir uns jetzt schon mal im Zirkuszelt treffen. Vielleicht bekomme ich meine Musikleben aber auch weiter gut hin und darf länger als zehn oder zwanzig Jahre Künstlerin sein. Ich weiß es nicht und ehrlich gesagt will ich es vielleicht auch gar nicht wissen.

Das kann ich sehr gut nachvollziehen. Lass uns inhaltlich einen etwas härteren Schnitt machen. Was bedeutet Dir Heimat?

Oh, Heimat. Das ist für mich ganz klar eine Sache des Herzens, da ist meine Familie, da sind meine Leute, da ruht alles, da ist alles sicher, da bin ich sicher. Heimat bedeutet, dass ich normal sein darf, eine ganz normale Stefanie, da muss ich mich nicht beweisen. Dort finde ich Ruhe und Frieden. Dort verstehe ich, dass dieses Leben hier nicht die Realität ist, dass es andere Dinge gibt, die auch wichtig sind, vielleicht sogar wichtiger. Zu Hause werde ich geerdet.

Heimat hat für mich eine wirklich große Bedeutung, darum gehe ich auch immer wieder zurück nach Hause. Ich wohne nach wie vor im Haus meiner Eltern.


Und diese Heimat befindet sich in der Schweiz, was man eigentlich hören sollte, aber nicht hören kann.

(lacht). Ja, das stimmt, früher hat man das noch stärker gehört, aber mittlerweile ist es fast verschwunden. Ich verbringe so viel Zeit in Deutschland, bin umgeben von Deutschen, hab eine deutsche Band, das hat ein Stück weit auch meine Sprachgewohnheit verändert, meine Beziehung zur deutschen Sprache.

Das heißt, Du träumst jetzt auch auf Deutsch?

Nein, nein. Das nicht. Okay, vielleicht manchmal, aber eigentlich ist die Sprache, mit der ich morgens aufwache, der Walliser Dialekt.

„Kein Einzelkämpfer.“
Kommen wir zu Deiner Gesangssprache: Muss man mit dieser unglaublichen Soulstimme nicht zwangsläufig Englisch singen. Oder anders gefragt: Schließt Deine Stimme Walliser Dialekt aus? Was viele nicht wissen, Du hattest mit der Mundartband BIGFISCH schon Erfolg in der Schweiz.

Hm, das ist nicht ganz einfach zu beantworten. Ich glaube nicht, dass Dialekt grundsätzlich ausgeschlossen ist. Ich vergleiche gerne die Sprachen, in denen Musiker singen mit den Farben oder auch Techniken, die ein Künstler braucht zum Malen. Einer bevorzugt Kohle, andere Öl, Acryl oder Wasserfarben. Es gibt viele verschiedene Varianten mit unterschiedlichen Konsistenzen und dann am Ende auch unterschiedlichen Ergebnissen. Wichtig ist, dass der Künstler sich wohlfühlt und dann seine beste Leistung abrufen kann.

Genau das ist für mich die englische Sprache, für meine Musik ist das die beste Option. Wie sie sich spricht, wie sich anfühlt, sich anhört, wie sie sich bindet, ihr Flow, das fügt sich sehr gut ineinander. Das Walliser Deutsch dagegen ist einfach eine sehr, sehr harte Sprache und das passt nicht so gut zur Musik.

Vor ein paar Tagen hatte ich das Vergnügen mit BAP auf der Bühne zu stehen und irgendwann fragte Wolfgang Niedecken, warum nur er Kölsch singt, ich könnte doch auch in meinem Dialekt singen. Wir haben das ausprobiert und es hat wirklich gut funktioniert, da passt dann die Farbe wieder ins Gemälde. Aber das ist wiederum auch kein Soul mit dieser sehr speziellen Melodik, das ist andere Musik.


Was macht einen guten Song aus? Eine gute Hook? Die Stimme? Eine herausragende Band?

Ich glaube, ein guter Song hat von allem ein bisschen. Das fängt mit dem Vibe an, den du von der ersten Note an hast. Es ist sehr wichtig, dass dich der Song in deiner Situation abholt, die gerade dein Leben bestimmt. Manche Menschen sind sehr fixiert auf den Text, das ist auch völlig in Ordnung, bei mir ist das nicht so entscheidend. Für mich muss ein guter Song nicht unbedingt auch textliche Substanz haben.

Wahrscheinlich ist es schon eine gute Hook, eine, die man mitsingen möchte, ein Melodiemoment, der bleibt, der ein bestimmtes Gefühl auslöst.


Was mir in der Vorbereitung aufgefallen und als „sehr sympathisch“ abgeheftet wurde: Du bringst immenses Talent ein und hast im Laufe Deiner Karriere trotzdem immer wieder externe Expertise angezapft, um Dich entsprechend weiterzuentwickeln: Produzenten, Musiker, Songwriter, insbesondere letztgenannte Gilde ist prominent vertreten: Jamie Cullum kennen viele, Julie Frost mindestens die Kritikermenschen, Eric Bazilian eher Wenige, obwohl ausgerechnet der in der Reihe Deiner Peers wohl die meisten Erfolge verantwortet, von Bon Jovi über Robbie Williams, Billie Myers, Joan Osborne, Cindy Lauper und Amanda Marshall bis hin zu seiner eigenen Band The Hooters und sogar den Scorpions. Unabhängig von diesem Supertypen Bazilian: Wie wichtig sind für Dich diese externen Einflussfaktoren, der Wille zu lernen und dich dann auch weiterzuentwickeln?

Das bedeutet mir extrem viel. Ich bin sicher kein Einzelkämpfer. Nichts, was ich tue, möchte ich gerne alleine machen. Ich stehe sehr darauf, mit Menschen zusammenzuarbeiten. Das beginnt auf der Bühne mit meiner Band, wo es definitiv nicht egal ist, wer da in meinem Rücken rumsteht. Ich bin sehr dankbar dafür, diesen Job mit diesen speziellen Menschen auf einer Bühne zusammen machen zu dürfen.

Der Entstehungsprozess der Lieder ist durchaus vergleichbar: Ich bin dafür gemacht, auf der Bühne zu stehen, meine Musik zu den Menschen zu bringen und eher kein großer Songwriter. Studioarbeit ist etwas, das ich machen muss, um wieder auf die Bühnen zu dürfen. Und darum hole ich mir möglichst gute Künstler, wenn das irgendwie geht. Deren kreative Arbeit darf auch sehr gerne unterschiedlich klingen. Ich will kein Konzert haben, in denen ich 90 Minuten die gleiche Musik abspule. Das wäre mir zu langweilig und sicher auch dem Publikum. Außerdem bin ich sehr neugierig und suche überall nach Inputs und probiere diese neuen Einflüsse gerne auch direkt aus, vor allem auch bei meiner Stimme: Geht’s noch höher? Vielleicht noch tiefer? Vielleicht komplett in eine andere Richtung? Was kann ich überhaupt alles mit meiner Stimme anfangen? Ich werde gerne auf Soul festgelegt und sicher sind dort auch meine stärksten Einflussfaktoren, ich liebe den Soul. Einen typischen Stefanie Heinzmann-Sound gibt es dennoch nicht. Dafür bin ich viel zu neugierig und will möglichst alles ausprobieren.
Eine Insel - Drei Dinge...

Welche musikalischen Projekte begeistern Dich zurzeit? Welche Musik hast Du zuletzt gekauft, welches Konzert zuletzt besucht?

Ich muss gerade grinsen, weil die Musik, die ich gerade kaufe, hat sehr wenig mit der Musik zu tun, die ich selber mache. Ich bin gerade voll im Chet Faker-Modus (australischer Musiker mit dem Geburtsnamen Nick Murphy, eher Dance/Electronic zuzuordnen, Anmerkung der Redaktion), wobei Lianna La Havas (englische Soulstimme, eine der prominenteste Vertreterin des Neo Soul, Anmerkung der Redaktion) finde ich auch supertoll. Deren Songs hätte ich tatsächlich auch gerne auf meinen Platten. Den Flow dieser beiden Künstler genieße ich zurzeit sehr, die machen mir viel Spaß.

Stichwort Songwriting: Wie entstehen Deine Songs? Spielst Du selbst ein Instrument, hast Du Ambitionen?

Ich bin tatsächlich auch in diesem Prozess abhängig von meiner Band und den Künstlern, die eine Produktion begleite. Schlussendlich spiele ich kein Instrument so gut, dass ich frei und vor allem kreativ loslegen könnte. Ehrlich gesagt finde ich das aber gar nicht schlimm und es stört mich auch nicht sonderlich. Wenn du beim Songwriting nicht alleine bist, bleibst du eben auch nicht auf einer Idee hängen und hast dann ein Problem. Jeder bringt seine Ideen ein und so wächst dann irgendwann ein Album zusammen, das viele Geburtshelfer hat.

Die Inselfrage: Welche drei Alben würdest Du neben einem riesigen Pack Lego mitnehmen auf die berühmte einsame Insel, von der es natürlich keine Wiederkehr gibt?

(lacht). Vor allem Lego, ganz viel Lego. Bei mir steht die „Star Wars“-Serie von Lego gerade sehr hoch im Kurs, da würde ich richtig viel einpacken. Ich war gerade kurz davor den „Todesstern“ zu kaufen, aber der ist leider richtig teuer. Die vielen Teile stören mich nicht, im Gegenteil, das macht ja Spaß, aber der Preis ist schon hart.

Aber okay, welche drei Platten wären es? Eine sehr schwierige Frage, einerseits stehe ich auf alte Sachen, andererseits gibt es auch so gute neue Musik. Wahrscheinlich wäre es ein Best of-Album von Michael Jackson, wo auch Sachen von den Jackson Five mit drauf ist. Am besten eine von diesen Collections mit fünfzig Songs, das wäre schon cool. Ja, außerdem eine Platte von Jack Johnson…


…Welche? „On and on“, seine erste?

Ja, wahrscheinlich. Eine Entscheidung wäre schon schwer, vielleicht würde ich auch würfeln, aber mit der ersten Platte verbinde ich auch die meisten Erinnerungen, das lief während meiner kompletten Jugend und ich höre es heute noch regelmäßig. Das hält einfach tierisch lang, ich kann es immer wieder hören und das ist auf einer einsamen Insel schon ein gutes Argument. Außerdem passt die Musik definitiv auch zu einer Insel. Hm, die dritte CD wäre momentan „Built on Glass“ von Chet Faker, von dem ich eben schon erzählt habe.
Die wichtigsten Skills zum Erfolg
Deine Geschichte beginnt mit einer Castingshow und dieses Format spielt weiterhin eine Rolle: Du sitzt in der Jury von THE VOICE OF SWITZERLAND und warst Jurymitglied bei POPSTARS; mit Deiner Erfahrung von mehr als zehn Jahren professioneller Musik: Was sind die wichtigsten Skills, um letztendlich Erfolg haben zu können?

Stimmliches Talent ist die absolute Voraussetzung und dann würde ich aber sofort schon Authentizität nennen. Das ist eine Eigenschaft, die Menschen sofort erkennen. Wenn du einen Weg findest, zu dir selbst ehrlich zu sein und zu deiner Musik ehrlich zu sein und eben nicht versuchst, eine Rolle zu spielen oder etwas darzustellen, was irgendjemand vielleicht gut finden könnte, merken deine Zuhörer das unmittelbar. Bist du selbst authentisch, ist es zwangsläufig auch dein Publikum. Am Ende des Tages ist diese Haltung auch nachhaltig.

Stell dir vor, du machst eine Platte, hinter der du nicht richtig stehen kannst und es ist ein Flop. Das ist für mich viel härter als wenn eine Produktion versagt, die dich authentisch abbildet, deine Musik, in die du dich konsequent investiert hast.


Vielen Dank für Deine Zeit Stefanie und viel Spaß mit dem hessischen Publikum.

Epilog: Nach handgestoppten 96 Minuten verlässt ein glückliches Auditorium ein angeschwitztes Zirkuszelt in Friedberg. Es ist das hessische Friedberg, nicht jenes im schwäbischen Teil des Freistaats Bayern. Mehrere einhundert Menschen haben an diesem wettergetrübten Abend 13 Kostproben eines außergewöhnlichen Talents bekommen, eines Talents, das längst nicht mehr über die erfolgreiche Bewältigung einer Castingshow definiert wird, sondern über beständige zehn Jahre mit kreativer, über Grenzen hinaus wertgeschätzte Kunst.

Es ist ein unkaputtbares Gesetz in dieser umtriebigen Branche, dass die Kombination aus Talent, Leidenschaft, Fleiß, Lernbereitschaft und vor allem Authentizität Karrieren garantiert, verdiente Karrieren. Die von Stefanie Heinzmann ist längst nicht mehr am Anfang und doch weit weg von ihrem Ende, diese Prognose ist ohne jedes Risiko. Wir werden das mit großem Genuss weiter beobachten und hoffen indes auf zweite 30 Minuten, diese Soulhonigtöpfe sind einfach zu verführerisch.