2015.08.08
Rainer Scheithauer > Herbert Grönemeyer
Der Tonmeister
Rainer Scheithauer spielt in der musikalischen Champions League und hat keinerlei Erfolgsgeheimnisse
Dass Sozialisierung eine entscheidende Rolle für erfolgreiche Musiker ist, beweist die Biographie von Rainer Scheithauer sehr eindrücklich. Es ist offensichtlich, dass die Eltern Musik lieben. Über das weithin eher unbekannte Blasinstrumentarium Melodika führen sie den siebenjährigen jungen Mann, Nesthäkchen mit drei älteren Geschwistern, zum Klavierunterricht. Rainer darf sich ausprobieren, gründet früh eine eigene Band, spielt in den Gottesdiensten der Freikirche, zu der die Familie gehört und lernt in diesem Dunstkreis bereits die herausragenden Akteure der sogenannten CCM, der zeitgenössischen christlichen Musikszene in den USA, über Tonträger kennen. Abe Laboriel beispielsweise, eine lebende Legende am Bass, Ehrendoktor am renommierten Berklee College of Music, Fusion Jazzer der höchsten Kategorie, mit seiner Kapelle Koinonia Wegweiser vieler Bands weit über die in den Staaten durchaus relevante fromme Musikszenerie hinaus. Der Bassmann ist bis heute künstlerisches Genie, der Talent und Passion lebt und längst weitergegeben hat: Sein Sohn Abe Laboriel jr. gehört zu den anerkanntesten Schlagzeugern unserer Zeit.
„Ich sog diese Musik förmlich auf“
Improvisationspotenzial, Kreativität und das handwerkliche Knowhow des alten Laboriels beeindrucken den jungen Rainer Scheithauer, der aber auch hierzulande auf großartige Einflussfaktoren trifft. Den Keyboarder und späteren Erfolgsproduzenten Dieter Falk etwa, den er im Rahmen einer Liveerfahrung in prägender Erinnerung behält. Dies gilt in deutlich nachhaltigerem Maße für seinen Klavierlehrer, den früh verstorbenen Komponisten und Pianisten Hans-Georg Pflüger, einen kreativen Schöpfer in nahezu allen bekannten musikalischen Gattungen, der dem jungen Talent Augen, Ohren und Herz öffnet für die Schönheit, die grenzenlosen Potenziale, die kaum zu fassenden unterschiedlichen Facetten der Musik. Die Grenzen zwischen E-, U- und F-Musik verschwimmen zu einem riesigen Markt der Möglichkeiten. Dass Hornliebhaber Pflüger seinem Schüler ausgerechnet Jazzmusik schmackhaft zu machen vermag, ist folgerichtig: Dekliniert man durch die Liste der renommiertesten Artisten unserer Zeit, ergibt sich ein kleinstes gemeinsames Vielfaches bei den unterschiedlichen Spielarten des Jazz. Hier trennt sich die vielzitierte Spreu vom Weizen, Jazz ist neben der klassischen Musik musikalischer Kulminationspunkt, der schonungslos aufdeckt und am Ende des Tages einfordert, dass harte Arbeit zwingend auf Gott gegebenes Talent treffen sollte, insbesondere Improvisationstalent. Und ebenso logisch ist die nächste wichtige Station in der musikalischen Entwicklung von Rainer Scheithauer: Er wird zu einem frühen Zeitpunkt mit Keith Jarrett konfrontiert, Klavierlehrer Pflüger empfiehlt seinem Schützling das bis heute meisterverkaufte Jazz-Soloalbum aller Zeiten, das legendäre Köln-Konzert aus dem Jahr 1975; Musikgeschichte, glücklicherweise auf Band gebrachte Sternstunde des Jazz zu einem Zeitpunkt, als die Kreativität in der Popularmusik ausschließlich über Drogenkonsum möglich schien und nach einer Phase politischer Instrumentalisierung, die viel Schaden angerichtet hatte.
„Ich sog diese Musik förmlich auf“, erinnert sich Scheithauer heute. Und beobachtet man das Spiel des Schwaben, ergeben sich durchaus Parallelen zu dem großen Keith Jarrett. Die assoziativen Figuren und Melodiefolgen entlockt Rainer Scheithauer seinen Arbeitsgeräten mit ungeheurer Leichtigkeit. Auch er besitzt das seltene Talent, Strömungen und Eindrücke unterschiedlicher musikalischer Wege in einen freundlichen, subtilen und damit verlockenden Sound zu verpacken. Zweifelsohne auch ein Ergebnis weit geöffneter Horizonte, für die im Falle von Rainer Scheithauer auch sein Mentor Hans-Georg Pflüger verantwortlich zeichnet.
Ein Jazz- und Popularmusikstudium unzählige Liveerfahrungen, Studioproduktionen und Schritte auf dieser schwierigen Karriereleiter später treffen wir auf einen Meister des Tons, der etabliert ist und dennoch durch Bescheidenheit besticht. Einen leidenschaftlichen Musiker, der Bühnen mit Zehntausenden Zuhörern spielte und solche Gigs kennt, in der man das Springsteen’sche Prinzip zugrunde legt, immer ein größeres Publikum zu haben als die eigene Band an Menschen stellt. Wie stark aber ist sein Status heute mit seiner Entwicklung verknüpft? Welche Elemente seiner persönlichen Vergangenheit und musikalischen Sozialisierung machen Rainer Scheithauer 2015 aus?
Auch wenn Klischees in aller Regel von übersichtlicher Aussagekraft und limitiertem Informationsgehalt sind, hin und wieder entdeckt der geneigte Liebhaber ein bis drei Körnchen Wahrheit in jenen düsteren, oft verstaubten Schubladen. Ja, Tastenmenschen sind in der Tendenz ohne jeden Zweifel gerne Klangfetischisten und Technikfreaks, um nicht zu sagen Tüftler auf der permanenten Suche nach Innovation, Weiterentwicklung und eben jenen Puzzleteilen, die man nicht bereits drei Mal wieder zur Seite gelegt hat. Auch Rainer Scheithauer gehört zu jener Spezies, die ihre Arbeitsgerätschaften nicht bloß beherrschen, sondern als Teil eines kreativen Prozesses betrachten.
„Wahrscheinlich habe ich über die Jahre eine ganz gute Mischung gefunden: Das Basteln an Sounds, gerne benutze ich die oft gescholtenen Presets, optimiere die aber auch meistens etwas. Für mich ist es aber auch von großer Wichtigkeit, dass ich immer direkten Zugriff auf die wichtigsten Controller habe. Oft wird das eigentliche Spielen unterschätzt. Je spezieller ein Sound ist, umso wichtiger ist es, ihn auch richtig zu benutzen. Ein guter Sound hat also auch immer was mit dem Musiker zu tun, wie kreativ der imstande ist, mit einem Sound umzugehen.“
Seine technischen Möglichkeiten brachten Rainer Scheithauer schließlich auch in die Liveband des großartigen Herbert Grönemeyer. „2011 wurde ich von Herberts erstem Keyboarder Alfred Kritzer mit der Bitte kontaktiert, für zwei Songs ein Liveensemble durch Streichersamples zu ersetzen“, erinnert er sich. „Ich hatte bereits Erfahrungen mit Streichern, die spezifische Forderung, alle Spielweisen auf Knopfdruck bereit zu haben, war aber eine echte Herausforderung.“ Drei Tage intensive Arbeit hinter verschlossenen Türen folgen, ebenso ein überzeugendes Vorspiel und Scheithauer ist Teil der Band auf der „Schiffsverkehr“-Tour, wird seitdem regelmäßig für Liveevents vom bekanntesten Bochumer aller Zeiten gebucht.
Es passt zu Rainer Scheithauer, dass er in Sachen Handwerkszeug kompromisslos agiert und dennoch jederzeit Individualität wahrt. „Gibt es das perfekte Tasteninstrument? Ist ein klassischer Flügel ein perfektes Instrument? Sicherlich ja, schon, aber eben auch nicht umfassend. Man kommt wohl mit jedem Tasteninstrument an Grenzen, darum benutze ich gerne mehrere Keyboards mit unterschiedlichen Tastaturen.“ Scheithauers Fokus bei aller Flexibilität: „Der KORG KRONOS ist meiner Meinung nach das technisch beste Keyboard auf dem Markt, es deckt alles ab, was man braucht!“ Auf der Ende Juni 2015 unterbrochenen „Dauernd Jetzt“-Tour von Grönemeyer, die im kommenden Sommer fortgesetzt wird, hatte Rainer Scheithauer gleich zwei KRONOS‘ im Einsatz.