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Extras

Künstler

2015.08.08

Gregor Meyle

Ingwertee und "Wer bin ich?"

Die Mission Meyle startet zeitig. Um den „erstklassigen Zweiten“, wie das Nichtfachmagazin DER SPIEGEL bereits 2008 richtigerweise erkannte, in seinem Tun zu erfassen, braucht es Zeit, sorgfaltige Vorbereitung und substanzielle Recherche. Gregor Meyle ist ein bemerkenswerter Liederschreiber, ein außergewöhnlicher Musiker, in Kombination natürlich auch Komponist, kreativer Ideen- und Impulsgeber, Anführer einer der besten Bands des Landes, und seit gut zwei Jahren auch relevanter Teil mindestens zweier Bewegtbilderfolgsgeschichten, „Sing meinen Song“ war ein Coup, für die Macher sowieso, vor allem aber für den ausstrahlenden Sender VOX. Dass „Meylensteine“ ebenso gut funktionieren würde, ist schlicht und ergreifend anerkennenswertes Scouting von dem Sender, dessen Image im Feuilleton nur knapp über dem des unermüdlichen Beate Uhse-TV angesiedelt ist. Es gibt viele Gründe, Gregor Meyle fokussiert zu betrachten und einfach mal persönlich zu begleiten, zumindest ein paar Stunden und ein starkes Konzert lang.

Ein Samstag im August 2015. Die zweite oder dritte Hitzeperiode eines guten Sommers pausiert, ein wenig, immerhin. Der Himmel über Gießen wechselt zwischen mittelschwerer Bewölkung und strahlendem Blau. Es ist schwül. Wind ist selten, aber immer böig. Der „Kultursommer“ der Universitätsstadt war bis dato ein voller Erfolg. Renommierte nationale und internationale Künstlerschaft war zu Gast in diesem fluffigen Rundzelt auf dem Messegelände des mittelhessischen Oberzentrums. Die Besucher kamen in Scharen, der Veranstalter wird später von 20.000 verkauften Tickets sprechen. Überhaupt Gießen: Es passt schon gut, Gregor Meyle ausgerechnet hier einen intensiveren Besuch abzustatten und zu erforschen. Die Stadt erlebt seit Jahren einen Imagewechsel, und möglicherweise kleine, in jedem Fall aber feine Erfolgsgeschichten. Einst von Georg Büchner massiv verunglimpft, ist aus der grauen Maus, einer ausgebombten Durchschnittsansiedlung ein durchaus hübsches, insbesondere aber grünes Städtchen geworden. Das benachbarte Marburg, öffentlich deutlich besser beleumundet, wurde in Sachen Einwohner längst überflügelt, die wirtschaftliche und infrastrukturelle Bedeutung in der Mitte Deutschlands ist ohnehin gut, deutlich mehr als 35.000 Studenten sorgen zudem für Leben in der Bude. Eine ähnlich wechselhafte Entwicklung mit spürbaren Rückschlägen und dominierendem Erfolg könnte man auch dem Künstlermenschen Gregor Meyle zuschreiben. Analogie hin, unstetes Firmament her, wer ist dieser bärtige Held? Was treibt ihn an? Was ist sein Geheimnis? Und überhaupt: Wie hat er die Achterbahnfahrt seiner vergangenen Jahre erlebt?


Mit Leib und Seele

Es gibt ein paar Eigenschaften, die man Gregor Meyle sofort zuschreibt, ohne ihn kennengelernt zu haben. Ein Sympath ist der Musiker, witzig sowieso, kreativ, bodenständig und die Nähe zu den Fans ist offensichtlich, besonders verliebte Frauenzimmer verorten den gebürtigen Backnanger sicher auch im Land der Schwiegermutterträume. Jetzt ist das so eine Sache mit den Eindrücken, aus denen schnell Stereotype erwachsen, die dann weitaus weniger schnell revidiert werden können oder wollen, wenn denn die Realität erbarmungslos zuschlägt. „There is no business like showbusiness“ dichtete einst der amerikanische Poet Irving Berlin für das Musical „Annie get your gun“. Imagepflege gehört im Showbusiness schon immer zur täglichen Routine, eine Art Hausaufgabe für den ambitionierten Künstler, ohne zu erwartende Fleißkärtchen. Wie stimmig also sind die Attribute, die Gregor Meyle gerne und oft, bisweilen detailliert zugeschrieben werden? Um es ohne jede Koketterie zumindest in Teilen vorwegzunehmen: Es stimmt alles und es ist noch untertrieben. Gregor Meyle ist ein feiner Kerl, ohne jegliche Allüren, ohne diese unschöne Form der Arroganz in Blick, Haltung, Spreche. Gregor Meyle ist der Mensch, der er mutmaßlich schon immer war und es nicht davon auszugehen, dass sich an diesem schicken Zustand irgendwann etwas ändert. Natürlich kann sich der aktuell überaus beachtliche und auch stringente Erfolg quantitativ und qualitativ vergrößern, die Kraft zu einer nachhaltig bedenklichen Veränderung dieses stabilen, guten Charakters wohnt aber auch diesen Entwicklungen nicht inne.
Kontinuität ist so eine Eigenschaft, die Gregor Meyle Erfolg bringt. Seit Jahren umgibt ihn der gleiche Pulk an überragenden Mitmusikern. Nahezu alle Positionen in seiner Kapelle sind doppelt besetzt, ohne dass auch nur ein Fünkchen Qualität verloren ginge oder gar unschöne Gefühlsregungen wie Missgunst das Gesamtgebilde ins Wanken brächten. Auch das Team hinter dem Team agiert seit Jahren in dieser Konstellation und weiß die Absichtserklärung „in guten wie in schlechten Tagen“ besser mit Liebe und Leben zu füllen, als so manche, durchaus vielversprechende Zweierverbindung. Knutschen nicht inklusive. Es gab diese weniger guten Zeiten, es gab sie durchaus. In der Retrospektive könnte man seinen bereits 2007 erarbeiteten Erfolg bei Stefan Raabs Show „SSDSDSSWEMUGABRTLAD“ als eine Art Kulminationspunkt umfangreicher Anstrengungen eines großen Talents betrachten.

Soundcheck am Nachmittag

In Wahrheit war es eine Art Durchbruch, einer von mehreren. Er brachte jede Menge Meriten, Erfahrungen, ein TopTen-Album und die Erkenntnis, dass auch eine glänzende Performance in einem zu Recht vielbeachteten Fernsehformat keine Garantien für die nahe und ein bisschen weniger nahe Zukunft bringt. In den Gesprächen mit ihm und seiner Band klingt immer mal wieder an, dass in dieser Zeit eine volle Konzerthütte alles andere war als selbstverständlich, eher eine Seltenheit. Gerne erzählt Gregor Meyle auf der Bühne auch kurze Geschichten, die von seinem Konto handeln und Anrufen seines mittlerweile Sorgen befreiten Bankberaters. Aber auch diese Phase hat er überstanden. Er hat sie besiegt mit Leidenschaft, mit Freunden an seiner Seite, und mit einer Methode, die auch in anderen Bereichen unseres Daseins Schlüssel ist: Talent muss immer auf die Bereitschaft zu harter Arbeit treffen, um Erfolg zu erzwingen, zu verdienen, im Wortsinne verdienen. Gregor Meyle verbucht diese Kombination auf der Erfahrungshabenseite, er lebt sie sehr offensichtlich bis heut. „Den Seinen gibt es der Herr im Schlaf“, und tagsüber bekommt dieses Gott gegebene Talent dann eine fundierte Basis durch Fleiß, unermüdliche Arbeit und durch Passion.

Die soeben definierte Kontinuität hatte das Projekt Meyle immer auch in Sachen Business-Partnerschaften, den sogenannten Endorsements. Zu seinem auch in Gießen beheimateten Gitarrenbauer Lakewood etwa besteht eine langjährige Verbindung, längst ist Gregor Meyle Namensgeber eines besonderen Modells. Noch länger und ebenso intensiv ist die Freundschaft mit KORG, VOX & AGUILAR. Im Zuge der Ermittlungen werden Meyl’sche Besuche in der Marburger Firmenzentrale ans Tageslicht befördert, selbstgebackenen Kuchen und jede Menge Ideen im Gepäck. Backen (und Kochen) kann er also auch auf hohem Niveau. Jedenfalls so gut, dass ihm diese Kunst nicht zum Nachteil gereichte, vielmehr aus der Nachwuchsförderung längst eine gewachsene und entsprechend gefestigte Freundschaft geworden ist. Man schätzt sich und unterstützt sich, wo es geht. Längst ist das heimische Studio von Gregor Meyle, der auf dem platten nordrhein-westfälischen Land wohnt, mit einem KORG SV-1 Stage Vintage Piano vervollständigt, ein zweites Modell darf ebenso mit auf Reisen wie der KORG KRONOS Synthesizer als Flaggschiff, als Tasten- und Soundzentrum.

Gesundes Selbstvertrauen trifft Bescheidenheit, gleichzeitig ist da dieser Wagemut und eine unbesiegbare Beharrlichkeit, wie man sie braucht, wenn man in diesem Geschäft leben will. Und es geht um Leben; mit derart offensichtlichem Talent gesegnete Künstler wie Gregor Meyle werden immer leben wollen mit ihrer Kunst, nicht bloß überleben in diesem Haifischbecken, das sich tatsächlich überaus häufig als solches entpuppt, wenn denn die Füßchen erst einmal nass geworden sind. Auch diese Eigenschaften von Meyle und Band sind nach spannenden Momenten intensiver Beschäftigung nicht zu übersehen. Er wusste, was er wollte und er wusste, dass es einen Weg für ihn geben würde. Dieses Wissen überwindet Widerstände, Mauern, ignorante Labelmenschen, ahnungslose Scouts, Kritiker ohne jede Leidenschaft, dafür viel zu vielen Zeilen. Er war Auftragsmusiker, Toningenieur, Produzent, Allzweckwaffe. Sein eigenes Talent, seine eigene Mission, seine Entwicklung, seine Ideen verlor er dabei nie aus den Augen. Vielleicht wurden sie das eine oder andere Mal vertagt, überdacht, weiterentwickelt, in Vergessenheit gerieten sie nie. Welch Glück!

Bliebe noch die bereits angesprochene Natürlichkeit auf der langen Liste guter Umgebungsbedingungen für diese längst nicht abgeschlossene Erfolgsgeschichte. Gregor Meyle ist und bleibt Gregor Meyle mit und ohne sichtbaren oder unsichtbaren Erfolg, mit und ohne Auszeichnungen auf dem heimischen KORG SV-1 Piano. Und dass es Erfolg gibt im Hause Meyle, ist das vielzitierte, immens leckere Häubchen Sahne auf dem ohnehin ziemlich gelungenen Kuchen. Dieser Erfolg wird 2015 rund 130 Mal geteilt, mit Menschen, an deren Besuch, deren Reaktion, deren Befindlichkeit der Künstler Gregor Meyle sein Schaffen und das seiner Band misst und latent hinterfragt. Auch das ist schlüssig und wir werden bei unserem Besuch feststellen, dass es vielleicht immer eine Steigerung geben kann, Meyle und Band aber auf einem Niveau agieren, das jedes Konzert zu einem besonderen Erlebnis macht. Eine Chronologie der Ereignisse.

15:30 Uhr
Gelassenheit in einer neuen Dimension

Wir erreichen den Ort des Geschehens rechtzeitig. Zwei wichtig aussehende Menschen mit hippen Tattoos mustern uns aus der Ferne. Sicherheitspersonal, zu deren primären Zielgruppe wir nicht gehören, was dankenswerterweise schnell erkannt ist. Der gespannte Fotograf und der nicht minder gespannte Autor betreten ein Rundzelt und sehen Gregor Meyle samt Band und Mischpultsportlern bereits vollzählig auf einer gemütlichen, technisch dezent bestückten Bühne versammelt. Das wirkt alles sehr übersichtlich, gemütlich eben, trotz sechsköpfiger Besatzung. Die Tretminen halten sich in Grenzen, ob Monitoring, Amps oder Boxentürme, alle sichtbare und unsichtbare Hardware wirkt zurückhaltend, verrät aber, dass wir hier eine Champions League-Veranstaltung betreten. Es geht um Klasse, nicht um Masse. Entsprechend effizient ist der knapp halbstündige Soundcheck. Bereits im leeren Zelt lässt sich erahnen, wie druckvoll, wie pointiert, wie unprätentiös diese Gruppe einigermaßen junger Menschen wenige Stunden später aufspielen wird. Schön. Kurzer Soundcheck bedeutet mehr Zeit mit den Akteuren, mehr Zeit für Fragen, vor allem aber mehr Zeit für Antworten. Gregor Meyle ist uns für später versprochen, wir starten mit zwei Riesen aus seiner Combo.

16:12 Uhr
Torhüter und Linksaußen

Beim Fußball sagt man sowohl den Torhütern als auch den Linksaußen den Hang zu gewissen Extravaganzen nach. Oder, um mal dem Kölsche Gossenslang zu unserem Lieblingssport zu frönen: „De‘ Mann im Dor un däää uffer linken Seijte ham de Knall schon länger nisch mehr jehört.“ Im Musikbusiness hört man derlei Nebengeräusche immer mal wieder im Kontext von Bassisten, allein verifizierbar ist es selten. Sicher nicht heute. Wir dürfen mit Dominik Krämer reden, hierzulande einer der besten seines Fachs, sagen wir, sagen viele, sagen im Grunde alle. Und einer, dessen Airtime als Bassmann der „Heavytones“, Stefan Raabs Studioband, einige Rahmen gesprengt hat. Dann waren da noch die Rollen bei „Sing meinen Song“ und „Voice of Germany“ und ja, es gibt einige namhafte Produktionen, die von seinem Bassspiel leben. Gespielt hat er übrigens mit auch mit Joe Cocker oder Lional Richie und einer kaum zu fassenden Anzahl weiterer Ausnahmemusiker. Auch seine Ausstattung verkörpert höchstes Niveau. Seine Aguilar Bass Anlage bestehend aus einem DB751 Röhren Topteil oder wahlweise einem Tonehammer500 und seinen zwei superhandlichen SL112 Lautsprecherboxen klingt herausragend gut bei allen Gelegenheiten, auch im Zelt, auch in Gießen. Vor allem aber ist Dominik Krämer ein richtig guter Typ. Das eint sie alle, Meyles Musiker. Sie sind gute Typen, freundlich, geerdet, guter Humor, exzellentes Knowhow. Warum das so ist, wird der Bandleader in seinem Gespräch später verraten.

In jedem Fall gelten alle genannten Attribute auch für Andreas Gundlach. Im Metapher also den Torhüter der Band. Seine Reputationsliste ist nicht minder lang und umfasst einiges zwischen Eckart von Hirschhausen und den Pet Shop Boys, zudem ist sein Betätigungsfeld bemerkenswert: Neben hochwertigster Tastenarbeit kann der Maestro Gitarre, Panflöte und Percussion. Berechtigte Superlative, wohin das Auge blickt. Wie auch immer, die Herren Gundlach und Krämer finden sich zum lockeren Miteinander vor der Bühne ein. Ganz einfach, wie gute Kumpels von früher. Wir reden über Kirchenglocken in der DDR, andere Hardware und Technik, Technik, Technik.

Im Gespräch mit Keyboarder Andreas Grundlach und Bassist Dominik Krämer
Andreas, Dominik, Gießen heute, geht es Euch gut? Freut Ihr Euch?

Andreas: Ja, uneingeschränkt ja. Ich freu mich sehr.
Dominik: Dem kann ich mich nur anschließen. Live macht Spaß.

Wisst Ihr noch, wie viele Gigs Ihr in diesem Jahr gespielt habt?

Dominik: Ich hab tatsächlich vor ein paar Tagen noch durchgezählt und bin auf eine Zahl zwischen 60 und 70 gekommen.
Andreas: Ach, echt? So viele waren es? An den Keyboards wechseln wir uns ja ab, es gibt in Gregors Band einen Pool an Musikern. Ich war vielleicht bei der Hälfte der Konzerte dabei.

Wie sehr unterscheidet sich Euer Publikum?

Andreas: Das hängt sehr davon ab, ob wir Headliner sind oder nur ein Act auf einem Festival zum Beispiel. Zuletzt haben wir in Oldenburg mit vier Bands gespielt oder in München als Support von Billy Idol.

Habt Ihr auch eine gewisse Flexibilität in Eurer Setlist? Kann ja sein, dass die Billy Idol-Fans auch nach Eurem dritten Song eher verhalten reagieren.

Dominik: Wir machen uns im Vorfeld schon viele Gedanken über das Set. Es ist außerdem davon abhängig, wie lange man spielt. Vergangenes Wochenende waren wir auf einem Festival mit durchweg härteren Bands und wir haben uns den ganzen Tag über den Kopf zerbrochen, ob das nicht eine Fehlbuchung ist. Vor uns war eine Punkband dran, nach uns auch was Hartes und wir dazwischen mit, naja, Liedermachermusik halt. Das war schon etwas schräg, aber obwohl die Leute im Publikum eher so aussahen, als seien sie Fans der anderen Bands, konnten sie unsere Texte mitsingen. Hat gut funktioniert.
Andreas: Ich kann mich erinnern, ich habe mal mit so einer kleinen Dixielandband auf einem großen Technofestival gespielt, für die Schlange am Einlass. (großes Gelächter) Die Leute dort sind kaputt gegangen, die konnten einfach nicht fassen, dass es so etwas gibt. Menschen mit Instrumenten.

Gab es auf Euer Tour einen besonderen Höhepunkt? Einen dieser Momente, die man nie wieder vergisst?

Dominik: Ja, hatten wir. Es gab ein denkwürdiges Wochenende, weil wir in drei Tagen auf den größten Gigs waren, die wir jemals bespielt haben. Es ging schon gut los mit einem Konzert im Stadtpark Hamburg, der als Meyle-Konzert mit 6500 Besuchern ausverkauft war. Schon da hat man gemerkt, dass ein Ruck durch die Band geht, weil man auf einmal realisiert, was möglich ist, welche großen Bühnen wir spielen. Das war vor zwei Jahren noch anders.
Andreas: Da habe ich manchmal mit Gregor alleine gespielt. (lacht) Nein, das stimmt natürlich nicht.

Es müsste Springsteen gewesen sein, aus dessen ebenfalls kämpferischen Anfangsjahren das Zitat überliefert ist, dass er immer nur dann spielt, wenn mehr Leute im Publikum sind als in der Band.

Andreas: Ja, deswegen macht es Sinn, zu Zweit unterwegs zu sein, weil wir dann die Wahrscheinlichkeit dramatisch erhöhen auch zu spielen. (lacht)

Zurück zum Ernst des Musikerlebens und unabhängig von den Orten: Wie wichtig ist für eine moderne Popband die technische Seite eines Konzerts?

Dominik: Dieser Bereich ist ohne jeden Zweifel immer wichtiger geworden. Wir haben uns früher auch mit widrigen Umständen arrangiert. Im Vergleich haben wir heute fast schon luxuriöse Zustände. Ich bin in dieser Hinsicht sehr stark sensibilisiert durch die Sachen, die ich zuletzt im Fernsehen gemacht habe, „Sing meinen Song“ oder „Voice of Germany“. Da wird ein immenser Aufwand getrieben, um einen glasklaren Sound zu bekommen, mit dem man gut arbeiten kann. Ich reagiere daher manchmal in Locations etwas sensibel, in denen wir anders klingen. Als Bassist merke ich das recht schnell und bin froh, dass ich persönlich über tolles AGUILAR Equipment verfüge, mit dem ich gegensteuern kann, damit jeder Abend sicher und zufriedenstellend für alle endet.
Andreas: Wir haben ja jetzt auch einen Monitormann dabei, was sicher ein Vorteil ist, zumal wir wirklich auf gute Leute bauen können. Du musst Dich auf deren Arbeit verlassen können, das ist mir wichtig.

Ihr sprecht von Zufriedenheit, es gibt also unterschiedliche Grade der Zufriedenheit?

Andreas: Ja, klar. Das gibt es definitiv. Früher hatte ich auch unterwegs viel mehr dabei, mehr Technik im Einsatz, musste aufbauen, aufbauen, aufbauen. Ich habe aber im Laufe der Jahre gelernt, dass genau diese Vielfalt auch eine Risikoquelle darstellt. Habe ich alles angeschlossen? Funktioniert tatsächlich alles? Jetzt konzentriere ich mich auf mein KORG KRONOS und das SV-1 und das ist super. Es kommt alles raus, was wir brauchen. Alles auf außergewöhnlichem Niveau.
Dominik: Wenn man sich ein Stück weit begrenzt, kann das durchaus auch eine Stärke sein. Letzten Endes führt das wahrscheinlich auch zu einem homogeneren Bandsound. Für unsere Musik brauche ich keine verschiedenen Bässe. Wir sind eine sehr spielende Band. Jeden Abend hat jeder die Ohren offen und wir hören aufeinander. Wir entwickeln uns und unseren Sound. Es geht auch nicht darum, den Sound der CD zu reproduzieren, sondern jeder bringt seine Ideen und seinen Teil ein und am Ende steht ein besonderes Liveerlebnis.
Andreas: Bei Gregor weiß man auch nie so ganz genau, was auf der Bühne noch so alles passiert. Plötzlich steht da ein Trompeter und der wird auch noch irgendwie eingebaut.

Im Gespräch mit Andreas Gundlach und Dominik Krämer

Gregor Meyle verpackt regelmäßig Jazzelemente in seine Songs. Ein Konzept, das Ihr sicher gerne auch unterstützt.

Andreas: Ja, klar. Wir haben einige Räume in unseren Konzerten, in denen wir uns als Musiker tatsächlich auch freispielen können. Es ist glücklicherweise nicht so wie im Theater oder in einem Orchester, wo die Musiker immer nur das spielen, was gefordert ist.
Dominik: Das ist übrigens auch der Grund, warum wir so frisch klingen, nach 60 Konzerten ist das auf diese Weise wirklich möglich, wir erhalten uns eine gesunde Spannung sozusagen.

Was sind die Eigenschaften Eures wirklich feinen Handwerkszeugs?

Andreas: Ich habe mich, wie eben schon kurz angesprochen, mit dem KRONOS und dem SV-1 bewusst „klein“ gehalten. Theoretisch könnte ich auch alles mit dem KRONOS machen, aber ich mag es sehr, auf zwei Tastaturen zu spielen und ich liebe mein SV-1. Es muss immer mit. Und dann der ganz praktische Effekt, dass ein kaputtes Kabel mit zwei Keyboards einfach keine Rolle spielt. Oder ich hab mich verstöpselt. Das kommt selten vor, aber es kommt vor. Und dann ist es gut, zwei Keyboards zur Verfügung zu haben. Was mich beim KRONOS wirklich begeistert, ist die Möglichkeit, bei einer Setlist Farben zu vergeben. Wenn ich eine Farbe drücke, kann ich mir sicher sein, es kommt ein richtig guter Flächensound.
Dominik: Mein AGUILAR AMP ist tatsächlich auch noch ein Relikt aus der Zeit, als das gesamte Equipment in einen Bulli passen musste. Klein, sehr kompakt, aber extrem bewährt, absolut zuverlässig, der Sound ist spitze, ich kann schnell zugreifen und Frequenzen ziehen, wenn der Raum problematisch ist. Und obwohl der AGUILAR so klein ist, ist er groß genug für größere Bühnen, also solche, wo man eher größere Amps erwarten würde. Und der klingt so gut, dass ich seit mindestens einem halben Jahr darauf bestehe, dass der Amp mikrofoniert wird. Das haben wir eingeführt und haben jetzt ein gutes Mischungsverhältnis zwischen dem DI-Signal und dem mikrofonierten Amp, das mir einen Vintage-Sound ermöglicht, den ich sehr gerne habe. Ich bin wirklich extrem happy.

Was ist das Geheimnis dieser Band, die so fantastisch klingt und so eine gute Atmosphäre schafft?

Andreas: Ein Umstand ist, dass sich Gregor Freunde sucht, mit denen er spielen möchte. Das ist keine durchgestylte zusammengebaute Band, sondern er hat uns alle irgendwann, irgendwo kennengelernt und uns dann zusammengebracht. Ihm ist die persönliche Komponente extrem wichtig, dass wir uns verstehen. Und das ist für mich in der Tat auch wichtig. Wir freuen uns alle, miteinander spielen zu dürfen. Wir haben großen Respekt voreinander als Musiker und Künstler. Wobei Dominik ja mal gesagt hat, dass er kein Künstler ist, sondern Basshandwerker. Darf ich die Geschichte erzählen, wie es dazu kam?
Dominik: (lacht). Du darfst alles erzählen.
Andreas: Dominiks Koffer sind wirklich die aufgeräumtesten Koffer, die man sich vorstellen kann. Dagegen ist selbst meine Schwiegermutter unordentlich. Das ist sagenhaft. Ich hab ihm dann mal gesagt, dass ich mir um ihn als Künstler Sorgen mache, bei diesem Koffer. Darauf hat er geantwortet, dass er kein Künstler sei, sondern Basshandwerker. Gerade das ist aber auch so irre, dass es so passt bei uns. Es gibt viele Bassisten, die mit ihrem Job nicht so zufrieden sind und versuchen, irgendwie irgendwo noch was reinzufummeln. Bei Dominik ist es absolut klasse, Du weißt immer: Da ist Dominik, da ist der Bass.
Dominik: Du hattest doch mal die Idee, dass wir uns an freien Tagen Workshops über das Leben geben.
Andreas: Ja, genau. Das würde in dieser Band super funktionieren.
Dominik: Ja, auf jeden Fall. Ich zeige Dir, wie man Koffer packt und Du liest Gedichte vor oder so. Wäre möglich, haben wir bisher aber nur angedacht.
Andreas: Was mir schon mal ausprobiert haben, ist mit Laura (Bellon, Anmerkung) wechselweise Gesang- und Klavierunterricht. Und dann unsere Foto-AG nicht zu vergessen. Dominik hat ein wahnsinniges Händchen für Iphone-Bilder.
Dominik: Man merkt einfach, dass wir eine gewachsene Band sind. Wir haben alle die Zeiten mit wenig Publikum und ganz wenig Geld mitgemacht und da sind Freundschaften entstanden. Das ist geblieben, es kommen halt jetzt mehr Menschen ins Konzert. Und die merken das auch, unsere Freundschaft und unsere Spielfreude. Es ist eine luxuriöse Situation, mit dieser Band unterwegs zu sein und spielen zu dürfen.

Sind die Konzerte für einen Musiker entspannter, wenn die finanzielle Situation eben nicht existenziell ist?

Dominik: Ich habe, Gott sei Dank, niemals wirklich existenziell kämpfen müssen. Aber ich könnte mir vorstellen, dass Existenzkampf auf der Bühne auch beflügelt. Wenn man die Besucher dazu bringen muss, möglichst noch eine CD zu kaufen, um die eigenen Spritkosten zu decken, kann das möglicherweise auch eine Energiequelle sein. Ist irgendwie immer auch eine Frage, wie man persönlich damit umgeht.
Andreas: Ja, das stimmt. Es kann sich aber auch kontraproduktiv auswirken. Man verkrampft und ist von der Situation gelähmt. Ich glaube, es ist wichtig, dass man die Lust auf Musik nicht verliert. Die Lust am Spielen. Optimalerweise darf die finanzielle Situation nicht mit auf die Bühne. Es geht um die Musik, es geht um die Band. Wir als Musiker müssen, wie in Gregors Fall jetzt, seine Songs bestmöglich zum Klingen bringen.
Dominik: Gregor Meyle war für mich ein Projekt, bei dem ich tatsächlich noch nie über das Geld nachgedacht habe. Ich fand die Musik super, die Leute super, mit denen ich in der Band zusammenspielen darf. Ob ich wenig Geld bekommen habe oder mehr, ist für mich nicht maßgebend dafür, ob ich Bock habe auf der Bühne zu stehen oder nicht. Das ist für mich ein Thema, das komplett außen vor bleibt.
Andreas: Gregor selbst hat ja auch in den härteren Zeiten nie ans Geld gedacht. Er hat gesehen, wenn wir was brauchen und dann eben andere Wege gefunden, das Notwendige zu bekommen. Mit Glück hat er etwas geschenkt bekommen oder wie auch immer. Das Verrückte ist, es hat immer geklappt. Ich habe neulich ein Buch von Anselm Grün gelesen. Darin hat er Hoffnung als „feste Zuversicht auf eine positive Entwicklung“ definiert. Genau das hatte Gregor immer.

Welche Musik hört ihr privat? Und könnt Ihr Musik als Nebenbeimedium überhaupt akzeptieren?

Dominik: Bei mir gab es Phasen, in denen ich Musik nur zum Lernen gehört habe, um irgendetwas abzuschauen, einfach die Technik dahinter zu verstehen. Ich habe mit 15, 16 komplette Steely Dan-Platten auseinandergepflückt, um die Technik zu verstehen. Von diesem analytischen Hören bin ich aber weggekommen, weil man irgendwann nichts mehr hören kann, ohne zu analysieren. Auch die Platten, die eben nicht produziert wurden, damit sie jemand später analysiert, sondern einfach nur, um Emotionen zu erzeugen. Was ich in den letzten zwei Jahren gehört habe beispielsweise, hat mit Virtuosität eher weniger zu tun. Deswegen spiele ich auch keinen virtuosen Bass. Ich spiele den Bass, der für den Song gebraucht wird. Ich bin ein riesiger Beck-Fan geworden über die vergangenen Jahre, insbesondere auch von seinem Bassisten. Ich mag momentan Paolo Nutini sehr gerne, auch Bands, die nicht so bekannt sind, The Bird and the Bee sind zum Beispiel in Sachen Produktion super. Ich mag eher Sound basierte Musik, Sound ästhetische Musik, wo der Sound wirklich wichtiger ist, als die Komplexität eines Songs.
Andreas: Ich höre sehr viel Musik, sehr durcheinander. Mir ist es extrem wichtig, dass Musik originell ist. Ich lasse das Radio nicht an, wenn ich den nächsten Akkord sicher vorhersagen kann, dann hab ich einfach keinen Bock mehr. Ich habe jetzt einen Plattenspieler geschenkt bekommen und von meinem Schwiegervater eine Menge Vinyl geerbt. Sind viele Klassiker dabei, aber beispielsweise auch eine Platte von Herb Alpert (amerikanische Trompeterlegende, Anmerkung). Die spielen einfach mit einer Energie und Freude, das ist unfassbar großartig. Oder eine Platte von Pat Metheny, „Zero Tolerance for Silence“. Kennt Ihr die? Sehr ungewöhnlich. Dann gibt es eine Platte, die heißt „Kirchenglocken der DDR“. Und das höre ich mir tatsächlich auch an, 45 Minuten Bimbam. Sind alle wichtigen Kirchen der ehemaligen DDR dabei. Toll.

Ich muss im Gespräch mit handwerklich außergewöhnlichen Künstlern immer die folgende Frage stellen, weil ich das Gefühl habe, alle Hobbymusiker wollen das wissen, wahlweise um sich zu beruhigen oder eben die Sache mit dem Talent noch einmal neu zu überdenken. Übt Ihr eigentlich noch oder ist das auf Eurem Niveau nicht üblich?

Andreas: Das ist bei mir ähnlich, wie meine Einstellung zum Musik hören. Ich möchte mich weiterentwickeln, das ist mir sehr wichtig. Und ich übe relativ viel sogar, weil es mir auch Spaß macht zu üben. Es soll nicht hochtrabend klingen, aber es für mich fast schon so eine Art Meditation. Wenn ich weiß, ich übe das jetzt eine halbe Stunde und kann das nach dieser halben Stunde besser als vorher, ist das für mich ein Schritt, der mich auch vom Alltag befreit. Unter Zwang kann das nicht funktionieren, aber aus Freude an der Musik sich ein Stück vorzunehmen und daran zu reifen ist toll. Das mache ich so oft es geht. Ich habe beispielsweise weiterhin keinen Fernseher. Während sich also andere cineastisch bilden, sitze ich am Klavier und beschäftige mich mit Musik.
Dominik: Oha, jetzt fällst Du mir aber sehr in den Rücken. Also, bei mir ist es ewig her, Jahre, dass ich mich hingesetzt habe, um zu üben. Weil auch die technische Seite nicht mehr so interessant ist für mich im Moment. Ich genieße es dann doch eher, Platten zu hören, da zu entdecken, zu lernen, wie bestimmte Sounds funktionieren. Ich bin eher Tüftler geworden, schraube Zuhause an meinen Bässen herum, probiere mal was mit dem AGUILAR Amp aus, schraube die Saiten rauf und runter, schau, ob sich der Sound verändert. Der Sound ist für mich wichtig geworden. Gut, mit meiner Basssammlung ist das jetzt etwas ausgeufert zuletzt, weil ich einfach Spaß an alten Instrumenten habe. Momentan beschäftige ich mich einfach mehr damit. Oder einfach mit der Frage, wie bekomme ich einen bestimmten Sound auf eine Platte, welches Equipment brauche ich, diese Dinge. Klar, auf der Suche nach Sounds kontrolliere ich natürlich auch mal meine Handhaltung. Verändert sich was, wenn ich anders anschlage. Es ist sicher nicht so, dass ich denke, ich bräuchte nicht mehr zu üben. Mir fällt da schon was ein, woran ich arbeiten könnte. Der Fokus ist momentan aber einfach ein anderer. Dafür spiele ich auch sehr viel und rufe die grundlegenden technischen Sachen dann einfach auch ab.

Im Gespräch mit Andreas Gundlach und Dominik Krämer

17:20 Uhr
Wikingerschach und lecker Gulaschkanone

Das war vielversprechend. Wir haben geahnt, nein, im Grunde hatten wir schon herausgefunden, dass es sich um, in jeder Hinsicht gute Jungs handelt. Das lässt sich nun also auch per Audiofile nachweisen. Während sich das mittelhessische Wetter an der eigenen Unstetigkeit zu erfreuen scheint, erwartet uns im gemütlichen Bereich des Backstage die nächste Überraschung. Die Herren Musiker vergnügen sich bei Wikingerschach, einem Spiel mit Holzklötzchen, dessen Sinn und Regelwerk sich dem Autor nicht erschließen wird, durchaus aber Potenzial für Haltungsnoten beinhaltet. Auch hier ausschließlich gute Figuren.

Gegessen wird übrigens auch. Bodenständig, ökologisch, bestimmt von mittelhessischen Biobauern, glücklichen Kühen und irgendwie auch vegetarisch, ein bisschen jedenfalls. Will heißen, für alle ist was dabei. Das Dessert ist ein besonderer Sündenpfuhl. Egal, heute ist ein besonderer Tag, dann darf  auch das Dessert diesen Charakter haben.

18:27 Uhr
Die Gewinnspieldamen

Geduldig widmet sich der Musiker den Gewinnspieldamen. Eine große Brauerei mit nationaler Bekanntheit und grünem Daumen, beheimatet nahe Gießen, hatte ein „Meet&Greet“ mit Gregor Meyle verlost. Natürlich war die Resonanz mindestens so groß wie die leuchtenden Augen der Vorfreude bei den Gewinnerinnen. Und obwohl Reste des leckeren Bio-Catering-Dinners noch auf dem Teller ihrem Schicksal entgegenfiebern, nimmt sich Gregor Meyle viel Zeit für den Backstagebesuch. Ein schöner Termin für alle Beteiligten. Ungezwungen. Herzlich. Freundlich. Geprägt von ehrlichem Interesse aneinander.

18:55 Uhr
Entspanntes Gespräch vor gelber Wand

Und dann sind wir an der Reihe. In 65 Minuten soll der Vorhang zumindest sprichwörtlich fallen. In Wirklichkeit gibt es keinen in Gießen. Nicht an dieser Stelle. Wie auch immer. Gregor Meyle wird sich viel Zeit nehmen für uns und anschließend nur noch kurz einsingen. Wir setzten uns auf eine Bierbank vor eine gelbe Wand und reden.

Mit Gregor Meyle auf der Bank

Gregor, Deine Kunst, egal ob Musik oder Deine Fernseharbeit, zeichnet sich durch Deine Zurückhaltung aus. Deine Songs stehen im Mittelpunkt, Deine Themen, Deine Gäste, Du nimmst Dich auf eine sehr angenehme Art und Weise zurück. Ist das ein unumstößlicher Wesenszug von Gregor Meyle?

Naja, ich weiß nicht. Mir ist das noch nie so bewusst aufgefallen, habe ich noch nie bei mir so intensiv beobachtet. Ich glaube aber schon, dass es Teil meines Charakters ist, alle mitzunehmen. Natürlich habe ich einen Beruf, in dem ich im Mittelpunkt stehe, aber ich versuche tatsächlich, alle daran zu beteiligen. Ich möchte immer probieren, es allen recht zu machen, alle glücklich zu machen.

Vor ein paar Jahren fand ich mit meiner Musik in einem viel kleineren Rahmen statt. Da war es schön, wenn der Veranstalter zufrieden war. Ich hatte vielleicht nicht so viel Geld verdient, aber wir konnten weitermachen. Heute sind wir in der glücklichen Situation, dass wir uns über die Anzahl der Besucher keine Gedanken mehr machen müssen. Wir spielen sehr häufig ausverkaufte Konzerte, in diesem Jahr sicher 60 oder 70. Ein absoluter Luxus, der es auch leichter macht, alle zufrieden zu stellen.

Du hast in den vergangenen Jahren eine bemerkenswerte Entwicklung genommen.

Ja, seit dem Herbst vor zwei Jahren ist es tatsächlich so. Unsere Konzerte sind sehr erfolgreich und ich finde auch, dass man an dem Liveerfolg, an der Resonanz die Wahrheit erkennt. Wer kommt zu den Gigs, wie häufig kommen die Besucher, das ist relevant. Ist viel wichtiger als die Frage, wie viele Platten ich verkauft habe. Wir sind aber auch gemacht für die Bühne. Im Radio werden wir kaum gespielt, jedenfalls nicht in der Rotation. Es gibt Sender, die uns mitnehmen, aber es ist schon eher selten. Ich habe mal eine Zeit lang intensiver versucht, diesen Umstand zu ändern, aber das hat nicht funktioniert und es ist für mich auch okay. Wir funktionieren auf der Bühne, die Leute kommen, das ist mir wichtig. Ich selbst höre auch privat kaum Radio. Ich ziehe mir die Musik, die mich wirklich interessiert. Und es ist doch Wahnsinn, dass ich quasi im Auto sitzen kann und mir überlege, mal die neue Platte von Amos Lee zu ziehen. Das mache ich dann einfach und höre so die Musik, die mir gefällt. Irgendwie besser als Radio.

Du magst Amos Lee?

(lacht) Ja klar. Ich hatte mit Amos Lee im Stadtpark Köln schon ein stärkeres Getränk. Bei Amos Lee bekomme ich schnell mit, wenn er was Neues gemacht hat. Großartiger Typ mit unfassbarem Talent. Da gibt es einige Musiker, die mich begeistern. Jamie Cullum natürlich. John Mayer. Oder auch Charlie Winston, mit dem ich jetzt einen Song aufnehmen werde.

Aber man merkt auch jetzt, dass Du Dich zurücknimmst, trotz Deines Talents und Deines großen Erfolgs. Du bleibst bescheiden und authentisch.

Ja, klar. Ich möchte gerne nach meiner Musik beurteilt werden. Du weißt nie, wann du diese Welt verlassen musst und was du hinterlässt. Hinterlässt du ein Haus, eine Yacht oder eine Lücke.mIch habe da einen schönen Spruch auf einer Postkarte entdeckt: „Hüte dich vor dem Entschluss, zu dem du nicht lächeln kannst!“ Das gefällt mir sehr gut. Je erfolgreicher ich werde, desto weniger engstirnig muss ich sein. Als Chef einer Band achte ich beispielsweise sehr auf meinen Ton. Der Ton macht tatsächlich die Musik und auch den Erfolg. Man kann mal zurechtweisen, aber das muss respektvoll sein. Ich kenne beispielsweise Xavier Naidoo jetzt seit ein paar Jahren und hatte mit ihm auch ein gutes Beispiel. Das ist ein sehr ausgeglichener Mensch und gönnt jedem seinem Erfolg. Aus meiner Sicht das beste Rezept: Gelassen und entspannt mit den Dingen umgehen, die dir in diesem Geschäft begegnen und das ist einiges.

Bei mir gehen seit zwei Jahren sehr viele Türen auf. Und mir kommt es so vor, als hätte es immer so kommen sollen. Auch in den Momenten, in denen es nicht so gut lief, war mir immer bewusst, okay, ich kann jeden Tag Musik machen, kann irgendwie davon leben und jetzt ziehe ich es auch durch. Dafür brauchst du auch coole Partner. Und ich habe das Glück, Partner zu haben, die mich über einen sehr langen Zeitraum unterstützen, ohne die Gewähr großer Presse und Öffentlichkeit. Das hat sich jetzt geändert, aber die Unterstützung war immer unabhängig davon. Während meiner Zeit als Tontechniker war das so, seit langen Jahren ist es jetzt vor allem auch mit KORG, VOX und AGUILAR so. Sie unterstützen mich als Künstler wegen meiner Kunst, das ist einfach schön zu sehen und ich bleibe dann zu jedem Zeitpunkt sehr gerne ebenso loyal.

Großartig für mich ist eben auch, dass überall in diesem Projekt alte Freunde dabei sind. Am Mischpult stehen beispielsweise zwei Jungs, mit denen ich eine Technikfirma hätte, wenn ich kein Musiker wäre. Ich bin umgeben von Leuten, mit denen ich schon seit Jahren zusammenarbeite. Team und Strategie sind unverändert geblieben. Es passt sehr gut, dieses Projekt ist mir heilig und dann ist es natürlich auch entspannter und einfacher, alle Beteiligten wirklich glücklich zu machen.

Wobei mir auch klar ist, dass wir uns momentan in einer sehr erfolgreichen Zeit befinden, diese Phasen aber kommen und gehen, es schwankt. In Hamburg hatten wir jetzt 5000 Besucher, in Rosenheim waren es 7000. Das wird sicher nicht immer so sein. Wir versuchen uns in diesem guten Momenten jetzt viel zu sichern, schöne Festivals zu spielen. Wenn wir das dann im kommenden Jahr noch mal schaffen, sind wir glücklich.

Ich muss aber auch betonen, dass wir sehr fleißig sind. Wir spielen in diesem Jahr ungefähr 130 Konzerte und das zahlt sich dann auch aus. Am Ende des Jahres werden wir 240.000 Konzerttickets verkauft haben, auf denen mein Name steht. Das ist für mich immer noch krass. Vor zwei Jahren waren es vielleicht 15.000.

Macht es für Dich in Sachen Intensität oder Leidenschaft einen Unterschied, ob das Publikum 50 Zuhörer stark ist oder 5000 Dir zuhören?

Ich fühle mich bei 50 Zuhörern viel stärker beobachtet. Du kannst dein Publikum ja viel besser sehen und es ist so, dass ich mir über die Konzertbesucher genauso viele Gedanken mache, wie die sicherlich über mich. Dich unbeobachtet zu fühlen ist schon besser. Wenige Zuhörer und die intensivere Beobachtung führen dazu, dass Du wie bei einem Date permanent versuchst, Deine Schokoladenseite zu präsentieren, um dann am Ende des Abends festzustellen, dass warst nicht du selbst. Mir ist wichtig, dass die Person, die jetzt mit Dir hier sitzt die gleiche ist, wie später auf der Bühne.

Das ist übrigens weder Absicht, noch Masche. Beispiel Hut. Ich ziehe als Musiker gerne einen Hut auf, weil ich dann auch weniger krank werde. Ich würde privat auch gerne einen Hut aufziehen, kann ich aber nicht mehr. Dann wäre keine Fleischtheke mehr möglich, verstehst Du? Das können schon coole Momente sein, Gregor Meyle mit Hut an deutschen Fleischtheken, aber es ist einfach auch schön, privat zu sein und das muss ich auch schützen, weil es wertvoll ist.

Wir wohnen übrigens ganz entspannt auf einem Kaff im Bergischen Land, haben tolle Nachbarn und es ist sehr ruhig. Ich kann die Anonymität der Großstadt sehr gut verstehen, mein Ding ist es aber nicht. Ich ziehe das Familiäre, das Ländliche vor, das Umfeld ist geschützt und ich habe dann eine Basis, von der viele Reisen starten können.

Gregors Organisator schaut kurz vorbei und lächelt. Es ist wohl das entspannte „halte-mal-die-Uhr-im-Blick-Zeichen“. Mit dem Abfragen der Uhrzeit bestätigt Gregor Meyle seine eigene Gelassenheit. In etwa zehn Meter Entfernung lauern zwei Menschen auf ein gemeinsames Foto. Sie werden warten müssen. Es gibt noch ein paar Themen zu besprechen.

Was macht einen guten Song aus?

Ein guter Song braucht tatsächlich nicht viel. Er braucht allerdings etwas Besonderes. Ich gehe sehr musikalisch an diesen Prozess. Für mich muss ein Song eine gewisse Frische haben. Natürlich gibt es nichts wirklich Neues mehr, aber eben neue Interpretationen. Ich finde, diese Interpretationen müssen frisch klingen. Wenn es mich irgendwie kickt, authentisch ist und was Besonderes hat, ist es ein guter Song. Und der muss mir nicht mal gefallen.

Ich habe als Tontechniker gearbeitet, auch als Produzent und bin jetzt Musiker; da hörst du einfach analytisch Musik. Ich könnte jetzt nicht mit dir reden und im Hintergrund läuft Musik. Ein Stück weit gilt die Konzentration beim Hören auch der Analyse des Songs. Und das ist dann auch Inspiration, wenn ich etwas entdecke, eine Idee finde. Bei „Meylensteine“ (Gregor Meyles eigene TVShow, Anmerkung) gab es auch solche Momente. Du hörst so ein „Verdammt ich lieb dich“ und überlegst dir, wie hättest du dieses Lied geschrieben. Dann kann es passieren, dass man einen Typen wirklich beeindruckt, der seit 25 Jahren diese Nummer rauf und runter spielt, vielleicht auch weiß, was er ihr zu verdanken hat, aber sie möglicherweise gar nicht mehr so mag. Dieser Typ hat bei deiner Interpretation plötzlich Tränen in den Augen und ist begeistert. Das ist etwas sehr Schönes und das geht nur mit einem guten Song und mit einer gewissen Subjektivität in der Herangehensweise. Oder anders formuliert: Gelegenheit trifft auf Bereitschaft. Wahrscheinlich klappt das auch nicht immer. Ich weiß nicht, ob ein Sting bei jedem Coversong jubelt, geht mir ja auch so. Aber es gibt eben auch tolle Interpretationen, bei denen ich denke: Mann, richtig fett! Also, ich glaube, ein guter Song wird immer gut sein, in zehn Jahren und in 50 Jahren; er muss halt dieses Besondere haben.

Es ist sehr schade, wenn junge Künstler versuchen, etwas nachzuahmen und dann ihren eigenen Stil vernachlässigen. Ein wirklich guter Koch kann sich auf französische oder italienische Küche spezialisieren, aber er wird auch immer seine eigene Identität bewahren, seine Interpretationen, seine Ideen. Das gilt für Musiker in besonderem Maße. Es braucht nicht viel, aber in jedem Fall etwas Besonderes. Wichtig ist auch, dass man nicht jede Geschichte erzählt. Man hat in der Regel 3:20 Minuten Zeit, um seine Geschichte zu erzählen, gerne irgendeine Geschichte mit irgendeinem Thema, besonders sollte sie aber in jedem Fall sein.

Deine aktuelle Platte heißt „New York-Stintino“, ist ein großartiger Arbeitsnachweis, bekommt von allen Seiten viel Lobhudelei, wohl auch, weil sie vielfältig ist, detailreich, sehr bunt, mit herausragenden Einzelkünstlern; ist das ein reifes Album, ein Kulminationspunkt sozusagen, oder hätte das auch ein Debüt sein können?

Nein, nein. Ich glaube, wenn ich diese Musik ohne Fernsehsendung im Rücken einer Plattenfirma vorgestellt hätte, wäre sie niemals veröffentlicht worden, da bin ich mir ganz sicher. Ich habe jetzt das Glück, die Musik machen zu können, die ich auch machen möchte. Meine Platten sollen eine Art musikalischer Flyer sein, der die Menschen in meine Konzerte führt und das gelingt auch.

Am Ende musst du für dich unfassbar stolz sein auf deine Platte, weil du extrem viel Energie investiert hast, Intimität steckt ebenso drin wie Leidenschaft. Und mit diesem Album habe ich sehr viel erlebt. Ich war in New York, eine Woche vor mir hat Paul McCartney vor dem gleichen Mikro gestanden, aus den gleichen Kaffeetassen getrunken und hat die gleiche Toilette benutzt. Der Toningenieur hat kurz nach unserer Aufnahme einen Oscar gewonnen und fünf Grammy-Gewinner haben auf diesem Album eingespielt. Einer dieser Menschen, Drummer Antonio Sanchez, kam nach der Session zu mir, um mir zu einer coolen Platte zu gratulieren und der hatte zu diesem Zeitpunkt nur die Bass- und Schlagzeugspuren gehört. In diesem Album speziell steckt viel akribische Arbeit. Und auch ganz viel Handschrift von einem meiner besten Freunde und Produzenten, ich rede von Christian Lohr. Der holt alles aus mir raus. Das musste ich einfach zulassen und irgendwie auch überstehen. Ich wurde quasi komplett auseinandergenommen und dann wieder zusammengebaut. Diesen Prozess musste ich verstehen und mitgehen. Natürlich blieb auch mein Bauchgefühl dabei wichtig, aber ich hatte die Offenheit, mir alles anzuhören. Das war wichtig, um dieses Ergebnis zu erzielen, um diese Platte so hinzubekommen.

Christian Lohr ist eine enorm wichtige Konstante Deiner künstlerischen Entwicklung. Ein Mann mit unfassbarer Reputation, die man ob größtmöglicher Bescheidenheit aber erst nach sehr guter Recherche und viel Rumfragerei ausgräbt.

Ja, das stimmt. Da kommen dann meine Lieblingsmomente ins Spiel. Wir telefonieren eine halbe Stunde vor seinem Auftritt mit Jeff Beck, dem Jeff Beck, in der Royal Albert Hall. Und plötzlich sagt er: „Du Gregor, ich muss jetzt aufhören, die Queen ist schon da!“. Das hat sich zwischen uns zu einem Running Gag entwickelt. Aber das zeigt einfach sein Niveau. Oder auch seine Arbeit mit Joss Stone. Joss Stone ist ein Weltstar.

Im Grunde gibt es nichts Schöneres, als mit diesen Musikern zusammenzuarbeiten, mit ihnen zu spielen. Es ist cool, wenn die Band von Joss Stone deine Platte besitzt oder Xavier deine Musik unterwegs hört. Mir ist das wertvoller, als eine Auszeichnung, die auf irgendeinem Klavier steht. Das sind auch schöne Verdienste, weil sie mit meiner Arbeit zu tun haben. Aber das ist nicht vergleichbar mit den Momenten, in denen ich mit diesen großartigen Musikern zusammenarbeiten darf. Nicht vergleichbar mit 130 Konzertabenden, nach denen die Besucher mit glänzenden Augen nach Hause gehen und du weißt, dass du einen Job hast, der andere Menschen glücklich macht und der einen Weg teilt. Das ist mir wichtig.

Wenn man Paul McCartney nach seinen Ängsten fragt, erzählt der immer von diesem einen Traum. Er spielt ein Konzert und in den hinteren Reihen stehen die Leute auf und gehen. Er gibt alles, spielt Zugaben, die besten Songs und die Leute gehen. Wenn ein Paul McCartney, der Sir Paul McCartney, es gibt keinen größeren, talentierten Musiker auf dieser Erde, Paul McCartney ist der Chef; wenn also dieser Mann immer noch die Sorge hat, die Leute könnten gehen, hat er die Demut vor seinem Publikum nicht verloren. Das ist beeindruckend. Das ist ein Erfolgsgeheimnis. Darauf kommt es an.Für mich misst sich mein Erfolg immer in der Frage, wie viele Leute zu meinen Konzerten kommen. Alles andere spielt keine Rolle. Wie viele Menschen nehmen sich frei, organisieren einen Babysitter und haben die Tickets schon seit zwei Monaten am Kühlschrank hängen. Das zählt für mich und das zähle ich tatsächlich auch, weil das Größen sind, mit denen ich kalkulieren kann.

Der Mann mit dem langen blonden Haupthaar und den sehr guten organisatorischen Fähigkeiten schaut mit minimal ernsterem Blick in die Runde. Gedanklich durchwühle ich meinen Fragenkatalog, sprachlich versuche ich Tiefenentspannung zu erhalten und verspreche eine letzte Frage und kein weiteres Aufhalten. Erneut nicht mal ein bisschen Lärm um ein bisschen was. „Ich halte mich ja dann selber auf“, entgegnet Gregor Meyle und grinst mich an. Trotzdem Endspurt. Die Fans mit Fotowunsch bringen eine Menge Geduld ein. Sie wird belohnt werden.

Gregor, Du umgibst Dich nicht nur mit einem herausragenden Produzenten, sondern auch mit begnadeten Musikern. Jeder Einzelne dieser Künstler hätte seine eigene Geschichte verdient. Wie schaffst Du als Bandleader diese gute Homogenität zu erhalten, die auch Euren Sound auszeichnet? Ihr klingt wie alte Kumpels.

Also erstens kann ich Dir sagen, dass wir tatsächlich Kumpels sind. Und zweitens muss jeder sein Instrument selbst aufbauen. Am Ende des Tages ist das sicherlich auch ein Schlüssel. Wir haben keinen Backliner. Bis vor einigen Wochen haben wir auch ohne Monitormann gearbeitet, hatten Gigs vor 5000 Menschen ohne diese Besetzung. Das haben wir nun geändert, bei unserer Größenordnung ist das nicht mehr möglich, ohne Monitormann zu arbeiten.

Dass wir ohne Backliner arbeiten, ist keine Kostenersparnis, da sind wir in der Crew absolut einer Meinung. Baut jeder sein Instrument, im Grunde seinen Bereich auf, ist die Gefahr, Divas zu kreieren sicher kleiner. Ich selbst baue unheimlich gerne auf. Das ist übrigens eine gute Frage. Bei mir haben alle, die auf der Bühne stehen, diesen Prozess hinbekommen. Ist auch eine gewachsene Sache. Ich habe bisher mit bestimmt 30 Musikern zusammengearbeitet und das hat so immer gut funktioniert. Ein Dominik Krämer beispielsweise hat überhaupt kein Problem damit. Ihn habe ich vor acht Jahren bei „TV Total“ kennengelernt, er ist ein Held. Überleg mal, er hat bei den Heavytones gespielt, mehr geht nicht. Als er dort aufgehört hat, war ich der erste, der angerufen und gefragt hat, ob er nicht in meiner Band sein möchte. Ich könnte stundenlang über jeden einzelnen Musiker in dieser großartigen Kapelle sprechen, weil ich wahnsinnig stolz auf sie bin. Jeder von denen hat Champions League-Niveau und könnte überall spielen, auch international. Andi (Gundlach, Anmerkung) ist abgefahren gut. Laura (Bellon, Anmerkung) ist toll, Markus Vollmer ist für mich der deutsche John Mayer, der spielt Gitarre, dass du umfällst und hat auch eine tolle Stimme. Chris (tian Herzberger, Anmerkung), der Geiger, ist ein Riese; du findest in Deutschland und der Schweiz keinen, der so Geige spielen kann. Der spielt in gleich zwei irischen Bands, die dort absolute Nationalhelden sind. Meine Drummer sind Extraklasse. Also, das sind alles Weltmeister, dessen ich mir auch sehr bewusst bin. Wir feiern das sehr intensiv bei jeder Begegnung, und wir erhalten uns diesen Charakter auch. Ich passe wirklich gut auf unseren Teamspirit auf. Wenn sie aus einer Stadt zum Gig kommen, achte ich zum Beispiel darauf, dass sie in einem Auto fahren. Dabei geht es eben nicht nur darum, dass es anders tatsächlich die Umwelt belasten würde, es wäre für mich auch das Verhalten von Divas.

Die gemeinsame Arbeit ist für uns wie ein Jungscharausflug, das soll auch so bleiben. Wir genießen unsere Freundschaft, den gemeinsamen Spaß, Klötzchen spielen und mal ein Bier zu trinken im Tourbus. Und dieser Tourbus ist übrigens nicht nur ein Refugium, sondern schweißt auch unglaublich zusammen, weil Du wie im U-Boot eng zusammenlebst. Wir sitzen dann da, kleben uns lustige Namen auf die Stirn und spielen „Wer bin ich?“. Wenn man anderen Rocknrollbands davon erzählt, mag das peinlich sein, für uns ist es super. Wir mögen uns alle sehr. Und das merkt der Zuschauer auch. Diese Einheit ist wichtig. Meine Band gibt mir auch die besten Feedbacks. Wenn die einen neuen Song pfeifen, weiß ich, das war eine gute Idee. Wenn die das Grinsen im Gesicht haben, weiß ich, es war ein guter Gag im Konzert.

Herausragende Band, starkes Team, durchdachtes Songwriting und eine tolle Atmosphäre. Über Deine Partner, insbesondere im Bereich Technik & Equipment haben wir bereits kurz gesprochen. Wie relevant sind diese Unterstützer für Deine Arbeit? Im Grunde sind das eher lange entwickelte Freundschaften, basierend auf treuen Besuchen und leckerem, selbstgebackenen Kuchen von Dir als klassische, seelenlose Geschäftsbeziehungen.

(lacht). Ja, ja, das stimmt. Früher war ich sehr regelmäßig bei KORG & MORE / MUSIK MEYER und habe tatsächlich Kuchen von mir dabei gehabt. Stell dir das einfach als lange gewachsene Beziehung vor, ein Geben und ein Nehmen. Ich wurde schon unterstützt, da war ich noch ein Niemand. Und ich habe auch einen riesigen Respekt vor der Leistung meiner Ausrüster, vom Hut über die tollen Gitarren von Lakewood hier aus Gießen bis hin zu den fantastischen KORG-, VOX- und AGUILAR- Produkten. Da stecken faszinierende Menschen hinter, die mich seit Jahren begleiten.

Das KORG-Equipment ist besonders: Das SV-1 Piano nutze ich in erster Linie zum Schreiben und zum Komponieren, mit Tasten komme ich auf gute Ideen. Das ist für mich ein tolles Arbeitsgerät, im Studio haben wir eins und eins mit auf Tour. Super Sound, sehr transparent, lässt sich toll einbetten. Ich werde in diesem Leben kein guter Pianist mehr werden, aber Ideen bekomme ich tatsächlich auf diese Weise. Und grundsätzlich denke ich, dass Musiker sich an verschiedenen Instrumenten ausprobieren sollten. Ich habe beispielsweise im vergangenen Jahr ein 111 Jahre altes Klavier gekauft, habe ein altes Akkordeon, ich kann es gar nicht wirklich bedienen, aber du spielst nur einen Akkord und zusammen mit anderen Instrumenten entsteht etwas Gutes. Im Grunde ist das auch mein Job. Ich bin Songwriter, entwickle einen spannenden Akkord und lebe dann davon.

Die Worte nicht zu vergessen.

(lacht). Worte sind nicht so wichtig. Worte dürfen niemals von der Melodie ablenken.

20:08
Auf dem Teppich

Sprach er, nimmt sich weitere Minuten für gemeinsame Fotos mit immer zahlreicher eintrudelnden Fans, unterschreibt sehr gerne seine neue Platte, macht noch mal Fotos und dann geht es zum Einsingen. Das Zelt ist mit 2300 Menschen voll. Es ist dann doch ziemlich schwül geworden, die Erwartungen dieses erstaunlich gemischten Publikums sind mit Händen zu greifen. Zehn Zeigerumdrehungen nach unserem intensiven Austausch steht er barfuß auf der Bühne, genauer gesagt, auf einem schicken Teppich, und ist tatsächlich der gleiche Gregor Meyle geblieben, der er eben im Gespräch auch war. Konzert also, los geht’s.

Sein Publikum ist erwartungsfroh und begibt sich gerne in die Hände dieses freundlichen Frontmannes, dessen Moderation sich durchaus auch auf die Geschichten hinter den Geschichten erstreckt. Die werden dann gerne als Brücke genutzt und so wird aus einer simplen Liedersammlung ein in sich geschlossenes, schlüssiges, rund zweistündiges Gesamtkunstwerk. Sicher, es gibt einige erwähnenswerte Höhepunkte. „Hier spricht dein Herz“ etwa, weil dieser Song auf eine sehr schicke Weise die Liebe des Urhebers zum Jazz ins weite Rund trägt. „Schau mich nicht so an“ wird im Americana-Gewand feilgeboten und von einem überragenden Piano getragen. „Wunder“ hingegen dominiert die Rhythmus- Fraktion um den bärenstarken Dominik Krämer und seinen entfesselt trommelnden Kumpel Mario Garruccio. Ziemlich lässig rauscht „Keine Macht den Pessimisten“ durch Mittelhessen, des Autors persönlicher Favorit.

Insgesamt schafft es Gregor Meyle auf eine besonders freundliche Weise, dass sich seine Besucher nicht bloß zu Hause fühlen, sie kommen zu Hause an. In einer Art Oase, die den Alltag nicht vergessen macht, sondern selbstverständlicher Teil dessen wird, in kürzester Zeit. Es gibt brodelnde Phasen an diesem Abend, Tanzen, Ausgelassenheit, dann wieder extrem ruhige Momente; alles ist intensiv, alles ist authentisch, charmant Unperfekt, sehr pointiert, witzig. Und irgendwann ist die 14 Songs umfassende Setlist aus, doch keiner will nach Haus. „Keine ist wie du“ ist eine perfekte erste Zugabe, „Niemand“ und ein „Kleines Lied“ beschließen den Reigen.

22:12
Die besonderen Momente

Gregor hat viel gegeben an diesem Tag, an diesem Abend. Wie an all den anderen Abenden und Tagen zuvor. Er wird schnell gehen, sein Refugium aufsuchen und über dieses Konzert nachdenken, die Menschen, seine Songs, seine Arbeit. Er wird glücklich sein, den Moment auskosten, er wird analysieren und lernen wollen, nachdenken. Seine Freunde bleiben hinter der Bühne stehen, umarmen sich, genießen das Adrenalin dieser Bühne und ihres Publikums, rauchen eine Zigarette, vielleicht zwei. Sie freuen sich sehr offensichtlich darüber, dass sie genau das tun dürfen, was sie tun. Vielleicht hat Keith Richards tatsächlich Recht, wenn er allzu pathetische Anwandlungen in Situationen wie diesen mit seinem „It’s good to be here it’s good to be anywhere“ im Keim erstickte. Sicher ist, für ein paar Sekunden wollen diese Jungs nirgendwo anders sein auf diesem Planeten und in den vergangenen Stunden nichts anderes erlebt haben.

Braucht es an diesem besonderen Tag überhaupt ein Resümee? Fakt ist, Gregor Meyle ist immer einen Besuch wert. Seine Band ist es. Seine Kunst ist es. Technik und Ambition sind es ebenso. Perfektion ist nicht möglich, dieses Projekt aber ist nahe dran. In jeder Beziehung. Ein Bild nehme ich mit in die Gießener Nacht: Während der letzten Songs fällt mir eine Frau auf, die mit ihrer Tochter nahe an der Bühne steht. Sanft bewegen sie sich zur Musik, sie halten einander fest und immer wieder lächeln sie sich an. Sie sehen glücklich aus.